0875 - Medusas Tochter
Sein Sohn war zudem nicht der erste gewesen. Es hatte immer wieder welche erwischt. Das fahrende Volk war zu einem Opfer eines unglaublichen Vorgangs geworden, dessen Ende nicht abzusehen war.
Freddy war tot!
Sein Sohn, sein einziger Sohn. Nicht mal dreißig war er geworden, dabei hatte er noch so große Pläne gehabt. Er hatte das Geschäft des Vaters ausbauen wollen und war dann in diese verfluchte Falle hineingeraten.
Josh Parker konnte sich keinen Reim darauf machen. Er wußte nur, daß er seinen Sohn zerstören mußte. Es war die einzige Chance, die er hatte. Er hatte die Spitzhacke gegen den Boden gestemmt, holte ein Tuch aus der Tasche und wischte über sein Gesicht. Der Wind war kühl geworden, spielte mit den Blättern der Linde und wirbelte letzte Regentropfen von ihnen fort.
Josh packte die Spitzhacke fester und drehte sich um. Das Leder seiner Jacke knarrte, als er den Oberkörper bewegte. Er würde auf der Höhe bleiben, bis er den schmalen Buschgürtel erreicht hatte, hinter dem das kleine Wäldchen begann. Dort hatte er seinen Sohn Freddy versteckt. In der letzten Nacht hatte er ihn mit einer Fuhre dort hingefahren, wie eine abgelegte Strohpuppe.
Wann würde das Morden enden? Und wen würde es noch erwischen? Auch Josh fürchtete sich, niemand war ja verschont, und er dachte daran, daß jemand engagiert worden war, um den unheimlichen Killer zu stoppen. Es war eine Person, die niemand kannte, nur zwei Leute vom Verband der Schausteller, die aber hielten den Mund. Das fahrende Volk fand diese Geheimnistuerei lächerlich, aber die Funktionäre blieben eben hart, und als kleiner Mann konnte man da nichts machen.
Josh fühlte sich mehr als unwohl. Nicht nur weil eine so schwere Aufgabe vor ihm lag. Er hatte auch den Eindruck, verfolgt zu werden. Irgend jemand war ihm auf der Spur, wobei er nichts Konkretes sagen konnte, denn er hatte die Person nicht gesehen. Es war auch nur ein Gefühl, den Schatten auf den Fersen zu wissen, und natürlich hatte Josh an den unheimlichen Killer gedacht.
Beweise hatte er nicht, eine Aufgabe lag vor ihm. Die mußte er fertigstellen.
Er ging weiter.
Vor seinen Lippen kondensierte der Atem. Das Gras hier oben war vom letzten Regen noch naß und wuchs so hoch, daß es um die Hosenbeine des Mannes schleifte.
Manchmal hatte das Wasser Pfützen hinterlassen. Parkers Schuhe klatschten hindurch und versanken bei jedem Schritt im weichen Boden. Der Buschgürtel wuchs wie ein dunkler Rand vor ihm hoch. Dahinter verteilten sich die Bäume. Es war eigentlich ein lichter Wald, in der Dunkelheit aber sah er sehr dicht aus, als gäbe es zwischen den Bäumen keinen freien Platz mehr.
Josh wußte es besser, denn nicht zum erstenmal war er den Weg gegangen. Er schaute zum Himmel, wo er keinen Mond und auch keine Gestirne sah. Die Dunkelheit war dicht, sie drückte auf sein Gemüt, und doch war er froh, daß es sie gab, weil er im hellen Licht des Tages diese Arbeit nicht hätte verrichten können. Er kam sich schlecht vor, und er wußte nicht, ob sein Gewissen die Tat jemals verkraften konnte.
Aber es mußte sein!
Parker brach durch das Gestrüpp. Der Boden bildete dahinter eine Falte, in die der Mann hineintrat.
Fast wäre er gefallen, doch er stolperte nur und erreichte nach wenigen Schritten den Waldrand.
Er trug eine Taschenlampe bei sich.
Sie wollte er nur einsetzen, wenn es unbedingt nötig war. Im Moment erschien ihm das nicht wichtig. Wieder dachte er an den Verfolger, drehte sich um, doch es war niemand zu sehen. Dabei spürte er ihn förmlich.
Er lauschte, hörte jedoch nur das Blätterrauschen.
Parker ging weiter. Er mußte sich von dem Gedanken befreien, beobachtet zu werden. Er wollte es hinter sich bringen. Je näher er seinem Ziel kam, um so stärker schien sich eine Würgeschlinge um seinen Hals zuzuziehen. Der Mann hatte Mühe, Atem zu holen oder sich zu räuspern. Alles in seiner Kehle war so aufgerauht worden, und der Speichel schmeckte wie Säure.
Der Mann fand die bestimmte Lücke zwischen zwei Bäumen, in die er eintauchen mußte. Jetzt brauchte er nur noch wenige Schritte zurückzulegen, um das Ziel vor sich zu sehen.
Schon bald brach Unterholz unter dem Gewicht des Mannes zusammen. Er trat die Reste zur Seite und hatte sich freie Bahn verschafft. Vor ihm wuchs vom Boden ein kegelförmiger Gegenstand in die Höhe. Er sah in der Dunkelheit so aus, für Josh war es das Grab seines Sohnes. Er hatte es notdürftig geschaffen und die Leiche mit einigen
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