Und die Goetter schweigen
wirklich gut«, freute sich Emil. »Oma sieht wie eine Mumie aus. Ich habe geschrien, als ich sie gesehen habe: Aaaaahhh, und da hat sie auch geschrien. Ich habe sie erschreckt.« Maria sah, dass Krister im Bett nebenan aufwachte.
Wahrscheinlich hatte Emils Schrei ihn aus dem Schlaf gerissen. »Ich bin wach. Linda? Was ist mit Linda? Man kommt sich fürchterlich vor, wenn man hier liegen muss und nichts tun kann.«
»Ich werde Morgan vom Zug abholen. Wir glauben, dass er uns helfen kann.«
»Steht es so schlecht? Ihr wisst also nicht, wo sie ist?« Krister wurde blass vor Angst. Maria nickte, nahm ihren Mann fest in den Arm und ging dann zur Tür, ohne Emil ihr Gesicht zu zeigen. Der Korridor verschwand in einem Nebel aus Tränen. Eine Eisenfaust schloss sich um ihre Eingeweide, presste das Weinen in ihren Hals. Maria hastete aus der Eingangshalle und wurde von einem Fotoblitz gelähmt. »Sind Sie Maria Wern, die Mutter des entführten Mädchens?« Ein blonder Mann mit einem weißen Block in der Hand drängte sich an dem Fotografen vorbei. »Wir bieten Ihnen 5000 Kronen für ein Interview an. Man kann sich ja denken, dass Sie Geld brauchen können, wo das Haus jetzt abgebrannt ist. Wenn Sie so freundlich wären und sich ins Auto setzen, können wir in aller Ruhe …«
»Wenn Sie nicht zur Seite gehen, werde ich Ihnen Ihren Block persönlich in den Hals drücken.«
»Das verstehe ich nicht – 6000, sagen wir 6000. Mehr können wir nicht anbieten. Aber dann will ich natürlich alles über die Morde und den Brand wissen. Ein oder zwei Fotos vor der Ruine, das wäre wirklich klasse …« Mehr konnte der Mann nicht sagen, bevor ein zielsicheres Knie ihn in den Schritt traf. Der schwarz gekleidete Journalist sackte zusammen und fiel wimmernd in das Auto neben den Fotografen. »Was habe ich denn falsch gemacht? Ich habe ihr 6000 angeboten. Du hast es selbst gesehen. Worüber soll ich denn nun schreiben? Verdammt! Misshandlung? Ich habe mal in der Kneipe einen Polizisten gehört, der seine Kolleginnen als militante Mösen bezeichnete, kann man so was schreiben, was meinst du?«
»Daran würde ich nicht mal denken«, brummte der Fotograf.
34
Stinkwütend ging Maria zum Parkplatz. Sie hatte die Beherrschung verloren, war an die äußerste Grenze ihrer Geduld getrieben worden. Ein Polizist soll der Vorschrift nach nicht mehr Gewalt anwenden als notwendig. Ein guter Polizist bewahrt in jeder Situation die Ruhe, lässt Provokationen an sich abprallen und kommentarlos zu Boden fallen. Dieser Journalist war nicht eigentlich kriminell, sondern nur ungeheuer provozierend. Maria hatte im Laufe der Jahre Kollegen kennen gelernt, die unnötig derb zugepackt hatten. Sie hatte das mit großem Missfallen beobachtet. Es bereitete ihr Kummer, solche Seiten an sich selbst zu entdecken. Was sollte Sturm sagen, wenn er Überschriften wie »Polizistin ruiniert Familienplanung eines Journalisten« sah. Er war empfindlich, was Headlines anging. Mitten in diesen Überlegungen erblickte sie Linda. Da stand sie in ihrem roten Overall unter der Straßenlaterne beim Parkscheinautomaten. Neben ihr auf dem Parkplatz eine Gestalt in grünem Parka. Maria konnte nicht mehr atmen, ihr Mund wurde trocken. Sie rieb sich die Augen, das Kind stand immer noch da. Maria hetzte los, hoffte, dass Disa sie nicht entdecken würde, ehe es zu spät war. Sie riss das Kind auf ihren Arm und rannte los, rannte um ihr Leben über den Parkplatz und auf das Gelände des Krankenhauses. Disa kam hinterher. Die Schritte näherten sich schnell. Maria lief stolpernd durch die gefrorenen Rabatten. Ihre Beine fühlten sich steif wie Holzstäbe an. Ach, wenn sie es doch schaffen könnte! Linda war schwer. Mit einer Hand fasste Maria an die Glastür. Die Pistole, warum hatte sie die Pistole nicht eingesteckt? »Halt, was fällt Ihnen ein«, rief eine Männerstimme, und gleichzeitig spürte Maria eine Hand auf ihrer Schulter. Eine Männerstimme … Maria drehte das Gesicht des Kindes zu sich her. Ein rundes erstauntes Gesicht ragte aus der Mütze. Ein Paar großer brauner Augen betrachtete Maria. Das war nicht Linda! Die Anspannung hatte ihr einen teuflischen Streich gespielt. Maria übergab das Kind seinem Vater, entschuldigte sich und brach in Tränen aus.
Der Besprechungsraum stank nach Käsesocken, abgestandenem Kaffee und verkorksten Mägen. Hartman schloss das Fenster und fuhr sich mit den Händen durch seine wilden Haare, rückte die Fliege zurecht. Der Anzug sah aus,
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