Und die Toten laesst man ruhen
mehr eingeschmiert, und das mochte sie gar nicht. Bald würde sie trocken und rissig werden und teuflisch jucken. Der Gedanke, dass meine Fettcreme drei Kilometer entfernt auf einer Kommode lag, verstärkte den Prozess noch. Außerdem reagiere ich auf unfreundliche Polizisten und kahle Gefängniswände so allergisch wie auf eine Herde Wildpferde.
Ich bemühte mich, an etwas anderes zu denken. An Katharina zum Beispiel oder an Anna, die hübsche Schwarzhaarige auf Katharinas Fete. Doch meine Fantasie bewegte sich so schwerfällig wie eine Biene nach dem ersten Nachtfrost. Gefängnismauern sind nicht nur licht-, sondern auch gedankenundurchlässig. Ich stand auf und pochte an die Tür: »Hallo! Ich will meinen Anwalt sprechen!«
Das wiederholte ich drei Mal. Erfolglos.
Als Erster kam Klaus Stürzenbecher vorbei. Er schloss die Tür vorsichtig hinter sich und flüsterte: »Was bist du für ein Idiot?«
Ich winkte ab. »Das weiß ich selbst. Sorg lieber dafür, dass ich hier wieder rauskomme!«
»Sei vorsichtig! Merschmann ist auf hundertachtzig. Er ist noch gestern Nacht ins Präsidium gekommen, um den Einsatz anzuordnen.«
»Das habe ich mir fast gedacht.«
»Georg, er will deinen Kopf.«
»Er kann aus einem läppischen Einbruch keinen Banküberfall mit Geiselnahme machen. Tu mir einen Gefallen und ruf Rechtsanwalt Kurz an!«
Stürzenbecher schüttelte den Kopf.
»Es ist wichtig. Sie haben mir nicht erlaubt, meine Medikamente mitzunehmen. In ein paar Stunden gehe ich hier die Wände rauf.«
»Tut mir leid, Georg. Ich kann für dich nicht meinen Arsch riskieren. Ich habe Familie.« Auf seinem Gesicht lag ein Hauch von schlechtem Gewissen. Deshalb verzichtete ich darauf, ihn weiter unter Druck zu setzen. Es war sowieso zwecklos.
Danach passierte lange Zeit gar nichts, außer dass der Juckreiz stündlich zunahm. Dagegen anzukämpfen war sinnlos.
Die beiden Polizisten, die mich gegen Mittag aus der Zelle holten, nahmen von meinem Zustand keine Notiz. Sie brachten mich in den sechsten Stock, die Chefetage. Vor Merschmanns Büro warteten wir fünf Minuten. Dann ließ Merschmann mich herein, während die Uniformierten draußen warten mussten.
Ich setzte mich, ohne auf ein entsprechendes Angebot zu warten. Merschmann beachtete mich sowieso nicht. Er war damit beschäftigt, seine Pfeife in Brand zu stecken.
»Warum halten Sie mich fest?«, fragte ich, als es mir zu bunt wurde.
»Sie wurden gesehen, als Sie ein Haus verließen, in das Sie offensichtlich eingedrungen waren.«
»Und? Ist etwas gestohlen worden?«
Er machte sich nicht die Mühe, die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. »Der Hausherr prüft das noch.«
»Er wird nichts vermissen.«
»Hausfriedensbruch ist auch strafbar.«
»Sie machen sich lächerlich, wenn Sie mich wegen eines simplen Hausfriedensbruchs in U-Haft stecken.«
Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe. Intelligenter sah er dadurch nicht aus. »Wollen Sie das nicht meine Sorge sein lassen, Herr Wilsberg?«
Es hielt mich nicht länger auf dem schäbigen Stuhl. »Nein, es ist meine Sorge. Ich habe keine Lust, noch eine Minute in Ihrem Meerschweinchenkäfig zu verbringen. Ihre Leute haben mich daran gehindert, meine Medikamente mitzunehmen und meinen Anwalt anzurufen. Das gibt eine saftige Dienstaufsichtsbeschwerde. Machen Sie sich Gedanken über Ihren vorzeitigen Ruhestand, Herr Merschmann.«
Langsam wuchtete er seinen Oberkörper aus dem Chefsessel. Achtzig Zentimeter Schreibtisch standen zwischen uns. Er beseitigte das Hindernis, indem er die Stirnseite umkurvte, einen Arm locker herabhängend, den anderen auf die Schreibtischplatte gestützt. Die Pfeife lag dampfend in einer hölzernen Ablage. Ich begann zu ahnen, dass er mir einen tätlichen Angriff auf einen Polizeibeamten anhängen wollte.
»Sie drohen mir«, knurrte er nahe genug, dass ich seine schlechte Verdauung riechen konnte.
Ich machte einen Schritt rückwärts und behielt dabei den Gummiknüppel im Auge, den er in der locker herabhängenden Hand hielt.
»Sie haben mich angegriffen«, stellte er sachlich fest.
Ich ging weiter rückwärts. Das Büro war nicht gerade klein, aber bei Weitem nicht groß genug, um das Spiel endlos fortsetzen zu können. Als ich die Wand im Rücken spürte, machte ich einen vergeblichen Sidestep. Der Gummiknüppel traf mich in der Nähe der Halsschlagader. Der Schmerz nahm mir den Atem und die Konzentration. Die nächsten Schläge, die auf meinen Rücken prasselten, waren daher nur noch
Weitere Kostenlose Bücher