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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Formsache.
    Aus der Tiefe eines besternten schwarzen Lochs hörte ich eine japsende Stimme: »Ich habe Sie gewarnt, Wilsberg. Und das war nur ein Vorgeschmack. Wenn Sie nicht die Finger von der Pobradt-Geschichte lassen, kann ich noch ganz anders.«
    Ich hatte die Fusseln eines billigen Teppichs im Mund und konnte deshalb nicht widersprechen. Tapsende Schritte ließen den Boden beben und meinen Kopf dröhnen. Eine Tür wurde aufgerissen. »Schaffen Sie ihn weg«, hörte ich Merschmanns Stimme.
    Sekunden später packten mich die hinlänglich bekannten vier Hände und zerrten mich in die Senkrechte. Wir waren schon an der Tür, als er sich noch einmal meldete: »Übrigens, das mit dem Anwalt muss ein Missverständnis sein. Natürlich dürfen Sie ihn anrufen.«
    »Haben Sie gehört, was er gesagt hat?«, krächzte ich, als ich mit meinen Begleitern im Erdgeschoss ankam.
    Sie wussten nicht, ob sie einen Fehler machten, wenn sie mich telefonieren ließen, oder ob es vielleicht schlimmer für sie war, wenn sie mich nicht telefonieren ließen. Ich nutzte ihre Unsicherheit und insistierte so energisch, wie es meine Gebrechlichkeit erlaubte. Schließlich hatte ich sie so weit, dass sie mich in ein nahegelegenes Büro schleppten und auf einen Stuhl verfrachteten, der in Griffweite eines Telefons stand. Ich wählte die Nummer von Kurz' Büro.
    Der Anrufbeantworter teilte mir die üblichen Sprechstundenzeiten mit und empfahl mir, nach dem Pfeifton etwas auf Band zu sprechen. Ich hatte übersehen, dass es Freitag und drei Uhr nachmittags war, lächelte meine unruhiger werdenden Bewacher an und wählte Kurz' Privatnummer.
    Er war zu Hause, hörte sich eine Auswahl meiner Schicksalsschläge an, besaß aber anschließend genügend Gefühlskälte, um mir mitzuteilen, dass er gerade im Begriff sei, über das Wochenende zu verreisen. Ich sagte ihm, dass er mich nicht hängenlassen könne.
    »Ich kann jetzt sowieso nichts mehr für dich tun. Bis Montagmorgen kriege ich keinen Untersuchungsrichter an die Strippe.«
    Da musste ich ihm leider recht geben. »An einem kommst du aber nicht vorbei. Ohne Medikamente bin ich bis Montagmorgen gestorben.«
    Er jammerte etwas von einem lange vereinbarten Segeltörn in Holland. Darauf versetzte ich, dass ich kein Wort mehr mit ihm wechseln würde, wenn er sich nicht sofort auf den Weg machte, beschrieb ihm dann, wo er den Hausschlüssel und die Medikamente finden würde, und legte auf.
    »Was haben Sie denn für eine Krankheit?«, fragten die beiden Polizisten gleichzeitig.
    »Aids«, sagte ich. »Sehen Sie nicht, dass auf meinem Gesicht die Haut abblättert?«
    Sie guckten mich genau an und traten erschrocken einen Schritt zurück. Verstohlen schielten beide auf ihre Hände. Gab es da vielleicht eine bislang unbeachtete Risswunde?
    Den Weg in meine Zelle durfte ich ohne Körperkontakt zurücklegen.
     
    Die nächste halbe Stunde freute ich mich auf Kurz' dummes Gesicht; als sich dann aber die Zellentür öffnete, war es nur der Schließer.
    »Sie können gehen«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    »Sie sind entlassen.« Er zeigte deutlich, dass er mir mehr Intelligenz zugetraut hatte.
    Schlendernd trödelte ich über die Nordstraße nach Hause. Die Luft roch so frisch wie kurz vor der Industrialisierung.
    Kaum hatte ich meine Fettsalben ausgepackt, da klingelte das Telefon. Hillerich wollte mich sofort sehen. Ich vertröstete ihn auf später. Zuerst wollte ich Mensch werden.

XV
     
     
    Zwischen Kanalstraße und Tibusparkhaus gibt es einen roten Ascheweg, der die einbetonierte Aa ein Stück begleitet und am Kloster der Schwestern der Göttlichen Vorsehung vorbeiführt. Hier findet man wochentags trotz der innenstädtischen Lage nur spazierende Rentner und Mütter mit Kinderwagen. An diesem Freitag fand sich überhaupt niemand, der die müde plätschernde Aa beobachten wollte. Denn Hillerich und ich hatten keine Augen für Münsters Rinnsal.
    Hillerich sah schlecht aus. Ich vermutlich auch, deshalb sparte ich mir eine entsprechende Bemerkung.
    Wir begrüßten uns mit einem Kopfnicken, dem er ein gönnerhaftes Lächeln folgen ließ. »Wissen Sie, wem Sie es zu verdanken haben, dass Sie so schnell wieder freigekommen sind?«
    »Ich habe es auch Ihnen zu verdanken, dass ich überhaupt ins Gefängnis gekommen bin«, sagte ich. »Außerdem hasse ich es, um fünf Uhr morgens geweckt zu werden. Nachdem Sie die Anzeige zurückgezogen haben, sind wir quitt, würde ich sagen.«
    Er wiegte den ergrauten Schädel.

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