Und die Toten laesst man ruhen
großen Bogen zur Hintertür.
Das Schloss gab mit einem kurzen Schnappen seinen Geist auf. Im Gegensatz zur pobradtschen Firma kannte ich mich hier einigermaßen aus. Und ich nahm an, dass sich das, was ich suchte, in Hillerichs Arbeitszimmer befand.
Entgegen den Regeln der Spionage- und Detektivarbeit schaltete ich das Licht ein. Aber suchen Sie mal mit der Taschenlampe in der Hand in einem Berg Papier nach einem Brief!
Der Berg Papier stand links neben der Tür an der Wand. Er war in Ordnern abgeheftet und regalweise aufgeschichtet. Ich verdrehte den Kopf und las eine Menge interessanter Eintragungen. Es gab Unterlagen für das Finanzamt, Ausschuss- und Ratsprotokolle, Prüfungsberichte, offene Forderungen und Rechnungen. Das, was ich suchte, konnte in jedem der Ordner sein. Oder in keinem. Wenn ich Pech hatte, war es überhaupt nicht mehr vorhanden oder schlummerte im Safe. Aber immerhin machte ich hier einen Zweitausendmarkjob, und dafür konnte mein Auftraggeber ein bisschen Wühlarbeit verlangen.
Ich vertraute darauf, dass Hillerich sich sicher fühlte und deshalb keinen Anlass sah, den Brief zu verstecken. Deshalb ließ ich die Aktenordner, wo sie waren, und wandte mich dem Schreibtisch zu. Er hatte einen Rollschrank auf der linken Seite und eine Schublade in der Mitte. Beide waren verschlossen. Nachdem ich das Stemmeisen an der richtigen Stelle angesetzt hatte, waren sie es nicht mehr.
Die Schublade enthielt eine Menge Krimskrams, Schreibutensilien und ein Portemonnaie. Die Fächer des Rollschranks waren von oben nach unten mit Briefpapier, aktuellen Geschäftsunterlagen und privaten Briefen gefüllt. Nach Durchsicht der privaten Briefe stellte ich fest, dass Hillerichs letzte große Liebe mindestens fünfunddreißig Jahre zurücklag. Sie trug nicht den Namen seiner Frau.
Ich guckte auf die Uhr. Seit meinem Eintritt waren dreißig Minuten vergangen. Bis zum Krankenhaus und zurück würde Frau Hillerich ungefähr eine Stunde brauchen. Kein Grund, nervös zu werden. Aber auch keine Veranlassung, die Sache ruhig angehen zu lassen.
Ich kehrte zu den Aktenordnern zurück und ging systematisch vor, von oben nach unten. Umgekehrt wäre ich schon beim dritten Ordner auf die Aufschrift Privat gestoßen. Der Brief von Karl Pobradt an Hillerich, der dritte angeblich vernichtete Abschiedsbrief war das Erste, was Hillerich in diesem Ordner abgeheftet hatte. Ich nahm den Brief heraus und steckte ihn in die Tasche.
Inzwischen war es draußen dunkel geworden und ich verzichtete auf den Umweg durch die Hintertür. Als sich die Haustür hinter mir schloss, hörte ich ein Knirschen, das gewöhnlich entsteht, wenn sich Schuhsohlen an Kies reiben. Einen Wimpernschlag später stand Kurt Hillerich vor mir. Ein paar Sekunden, die mir genauso lang vorkamen wie das letzte Heimspiel von Preußen Münster, starrten wir uns an. Dann ging ich wortlos an ihm vorbei. Das Gartentor lag bereits hinter mir, als er etwas brüllte. Ich blieb nicht stehen.
Hundert Meter weiter stand mein Auto am Straßenrand.
»Du Idiot!«, schnauzte ich Willi an, der hinter dem Steuer saß. »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst hupen, wenn etwas dazwischenkommt?«
»Ich habe es versucht«, gab er weinerlich zurück, »aber die Hupe ist kaputt.«
»Fahr los!«, sagte ich mit heiserer Stimme.
Auf der Rückfahrt verloren wir kein Wort. Ich überlegte, ob es einen Sinn hatte, ins Ausland zu fliehen. Aber mein derzeitiger Kontostand reichte gerade für drei Wochen Adria.
XIV
Sie kamen um fünf Uhr morgens. Sie klingelten oder klopften nicht, sie traten einfach die Tür ein. Das machen sie nicht bei jedem, der des Einbruchs verdächtigt wird. Leider war ich nicht jedermann.
Ich erwachte von dem Krach, den die Tür machte, als sie der Länge nach auf den Boden fiel. Bevor ich mir den Schlaf aus den Augen reiben konnte, hatte ich eine Maschinenpistolenmündung vor der Nase und eine unangenehme Stimme brüllte: »Hände hoch!« Das sagen sie immer, wenn ihnen nichts anderes einfällt.
Ich hob die Arme und blinzelte zu der Stimme hoch. Über dem grünen Kampfanzug trug sie eine schwarze Schussweste. Der Kopf sah aus wie ein kugelsicherer Helm.
»Warum der Aufwand, Herr Wachtmeister?«, erkundigte ich mich. »Meine Kalaschnikoff befindet sich sowieso im Keller.«
Ihm war nicht nach diskutieren zumute. Das konnte ich verstehen. Schließlich hatte ich auch noch nicht gefrühstückt. Er brachte das auf die Kurzformel: »Aufstehen!«
Während ich
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