Und ewig seid ihr mein
sah, wie die brennende Kerze über den Rand des Bettes kullerte und auf dem Holzboden das Feuer entzündete.
Doch das ging alles viel zu schnell. Selbst wenn der Boden morsch und das Holz trocken gewesen waren, so schnell konnte er sich nicht entzündet haben. Da war noch etwas anderes im Spiel.
Es war Benzin.
Nicht er hatte den Tod seiner Familie verschuldet, sondern der, der das Benzin im Schlafraum verteilt hatte. An diesem Abend waren jedoch alle am Strand gewesen. Alle bis auf einen.
«Du warst es», sagte Ruben. «Du hast unsere Familie getötet.»
«Bist du verrückt? Ich habe sie geliebt.»
«Ja, alle bis auf mich. Du warst in jener Nacht bei mir im Zimmer und hast Benzin ausgeschüttet, so wie du es wenige Tage später auch im Waisenhaus getan hast. Du wolltest mich aus dem Weg haben.»
Frank stellte den halb leeren Kanister beiseite, griff indie Hosentasche und holte eine Streichholzschachtel heraus. «Du bist schwach, du warst es immer gewesen. Es durfte nicht sein, dass du mir vorgezogen wurdest. Lange bevor ich das Benzin im Haus verschüttet hatte, hast du dich gegen mich und die gesunde Familienordnung aufgelehnt. Hättest du dich untergeordnet, wäre von all dem nichts geschehen.
Nicht ich bin es, der Schuld auf sich geladen hat, sondern du. Wärst du nicht gewesen, hätte mein Leben den vorbestimmten Weg eingeschlagen. Du hast mich um mein Leben betrogen. Selbst jetzt lehnst du dich gegen mich auf, gegen mich, den Älteren.»
Frank nahm ein Streichholz heraus, setzte es auf die Reibefläche. «Muss ich erneut das Schicksal für uns beide in die Hand nehmen? Bist du nicht einmal dazu fähig?»
Ruben antwortete nicht. Stattdessen schauten sie sich stumm in die Augen.
Erst als das Ratsch des Streichholzkopfes erklang und die Spitze sich entzündete, war Ruben klar, dass sein Bruder ihn erneut mit dem Tod eines unschuldigen Menschen belasten wollte. Das musste jetzt ein für alle Mal ein Ende haben. Er hatte sein ganzes Leben darunter gelitten.
Ruben machte einen schnellen Schritt auf Frank zu. Doch das Streichholz war bereits im Flug. Es landete am Fuß eines Scheites und schien sich schwächer werdend zu Tode zu züngeln.
Wäre da nicht ein Tropfen Benzin gewesen, der mühsam über die Kante zitterte, um die schwache Glut erneut zu entfachen. Im Nu kletterte das Feuer am Scheit nach oben und spuckte seine Flammen auf die nächstliegenden. Schnell hatte sich ein Ring aus Feuer um Michaelis geschlossen. Sie hob erschöpft den Kopf, erkannte die Gefahr und rüttelte an ihren Fesseln.
Ruben eilte ihr zu Hilfe.
Doch er kam nicht weit. Frank zog ihn von den brennenden Scheiten weg, stieß ihn zu Boden.
«Willst du mit ihr verbrennen?!» schrie er.
Ruben kam wieder auf die Beine. «Du hast mich all die Jahre in dem Glauben gelassen, dass ich für den Tod der Familie verantwortlich bin. Dabei warst du es. Sie wird nicht dein nächstes Opfer sein.»
Ruben sprang in den Kreis aus Feuer. Die Flammen fraßen sich zu ihren Füßen weiter den Weg an den Pfahl. Er zerrte an den Fußfesseln. Die eine ließ sich lösen.
«Hilf mir», rief er.
Dann die zweite. Blieben noch die Handfesseln.
Durch die Flammen hindurch sah er, wie Frank sich bückte, den Kanister nahm und ihn ins Feuer warf. Er kam eine Armlänge von Ruben entfernt in den brennenden Scheiten zum Liegen. Ruben blickte zurück. Ihre Blicke trafen sich. Sein Bruder würde ihn nochmals töten; dieses Mal endgültig.
Die Flucht aus dem Feuerkranz war unmöglich geworden. Die Flammen loderten mannshoch, und der Rauch fraß sich in seine Augen und Lungen.
Noch eine Fessel löste sich. Michaelis fiel ihm entgegen. Doch sie hing mit einem Arm noch fest. Er rüttelte und zerrte, hustete und schnappte nach Luft. Der Rauch würde ihm gleich die Sinne nehmen. Dann sah er, wie weißes Pulver zischend von oben auf ihn herabregnete.
Zu spät. Ein Knall. Kurz darauf noch einer.
Die Wucht erfasste ihn und Michaelis, schleuderte sie auf den Flammenring zu.
In dem kurzen Moment, bevor sein Bewusstsein schwand, kam es ihm vor, als würde er dreißig Jahre zurück an das brennende Strandhaus auf Terschelling katapultiert.
42
Es war, als würde er auf einer Wolke reiten.
Nur vom Rot einer untergehenden Sonne und der Laune des Windes begrenzt, ließ Levy sich treiben. Er sah hinunter auf einen weiten Sandstrand. Seine Familie stand um ein Lagerfeuer herum, auf einer Düne saß Frank.
Levy dachte sich zu ihm hinunter, setzte sich an dessen Seite.
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