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Und fuehre mich nicht in Versuchung

Und fuehre mich nicht in Versuchung

Titel: Und fuehre mich nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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dem Mund ausströmen. Christian Vogel sollte warten, es war wichtig, daß sie innerlich und äußerlich gefaßt war.
    Arne, der Gute, merkte, wie es um sie stand, und ließ ihr Zeit. Unmerklich drückte er sein Bein gegen ihres – das verabredete Zeichen dafür, daß Tanja beginnen sollte, wann sie es für richtig hielt. Als sie spürte, daß sich ihr Puls nor-malisiert hatte, war im Gegenzug die Nervosität Vogels deutlich angestiegen. Er starrte sie an wie das Kaninchen die Schlange. Tanja blickte ihm ruhig in die Augen. «Seit wann sind Sie spielsüchtig, Herr Vogel?» Vogel schien in sich zusammenzufallen. Kaum hörbar flüsterte er eine  Antwort. «Bitte antworten Sie so, daß wir Sie verstehen können. Wir zeichnen Ihre Antworten auch auf, Sie sind doch damit einverstanden, oder?» Vogel nickte. «Das Auf-nahmegerät ist zwar empfindlich, aber Sie sollten schon deutlich sprechen. Und ein Nicken kann es auch nicht auf-nehmen, bitte antworten Sie also stets laut.» Vogel flüsterte wieder, aber etwas vernehmbarer: «Ja». «Noch einmal, Herr Vogel», Tanja schaute ihn direkt an. «Seit wann sind Sie spielsüchtig?» Vogel schluckte, dann antwortete er heiser: «Seit Jahren, ich kann es nicht genau sagen, irgendwann nach dem Abitur.» Arne hakte nach: «Ihr Onkel hat Ihre Sucht finanziert?» Vogel nickte. «Bitte antworten Sie laut und deutlich», erinnerte Arne ihn. «Ja», sagte Vogel.
    «Können Sie uns erklären, warum Ihr Onkel das getan hat?» fragte Tanja. Vogel schaute sie erstaunt an. «Aber er war doch schuld dran», sagte er mit einem Ton, als wäre nichts selbstverständlicher als das.
    Eine Stunde später, als Christian Vogel sich verabschiedet hatte, war manches klarer. Christian hatte erzählt, wie ihn sein Onkel auf den verschiedenen Reisen immer auch ins Spielcasino mitgenommen hatte. Steffen Vogel liebte es offenbar, Menschen in der Grenzsituation des Glücksspiels zu beobachten. Er selbst spielte auch, jedoch immer nur eine festgelegte Summe, nicht wenig, aber in Maßen. Er gewann fast immer, beendete nach einem Gewinn aber sofort das Spiel. Christian ließ er neben sich sitzen, gab ihm jedoch keine Jetons für ein eigenes Spiel. Christian sollte erzogen werden, sollte beobachten wie er, einen ruhigen Blick gewinnen, Augenmaß für das Mögliche erreichen. Vogel war wohl gespannt, wie der Neffe das Spiel am Roulettisch angehen würde. Eines Abends hielt er die Zeit für gekommen und hatte ihm eine ansehnliche Summe zur  Verfügung gestellt. Doch in dem Moment, als Christian Vogel die Jetons auf Schwarz gesetzt hatte und die Kugel rollen sah, war es, als ob sich ein Schalter in seinem Gehirn umgelegt hätte. Er gewann und verlor, gewann dann wieder, setzte alles ein, gewann noch mehr und verlor schließ-
    lich alles. Sein Onkel setzte ihm keine Grenze, beobachtete das Geschehen schweigend und brachte den völlig erschöpften Studenten schließlich nach Hause. Die ganze Zeit hatte er kein Wort gesprochen. Es war das letzte Mal, daß er Christian mit zum Spiel genommen hatte. Doch dieser Schritt kam zu spät. Christian Vogel hatte lange genug hospitiert, um Bescheid zu wissen. Er kannte die Regeln.
    Und er wußte, wo er hingehen mußte. Bad Homburg, Wiesbaden, Bad Neuenahr – Christian Vogel verspielte alles, was er besaß, verkaufte den antiken Schmuck, den er von seiner Mutter geerbt hatte, versetzte die Möbel, lebte schließlich auf Orangenkisten in einem heruntergekom-menen Zimmer einer WG im Frankfurter Bahnhofsviertel.
    Nur sein Anzug war tabu, unverzichtbares Accessoire für den Besuch im Spielcasino. Bis sein Onkel kam, den Neffen aus der schmuddeligen Absteige holte, für ihn ein Apartment an der Römerquelle anzahlte und einen monatlichen Scheck ausstellte. «Aber wieso?» fragte Tanja. «Weil ich mich umbringen wollte, und er wußte das», antwortete Christian. Eines Abends hatte Christian in Wiesbaden alles verspielt. Es gab nichts mehr, was er hätte versetzen können. Der Entschluß war schnell gefaßt. Er würde sich in den Rhein werfen. Nachdem er lange auf der Rheinbrücke gestanden hatte, nahm er seinen ganzen jämmerlichen Mut zusammen und sprang. Doch wie es der Zufall wollte, war ein Schwimmlehrer ganz in der Nähe gewesen, der ihn im Nu aus dem reißenden Fluß herausgefischt hatte. Chri stian hatte mehr als einen Schluck köstlichen Rheinwas-sers intus und war noch in einem apathischen Zustand, als ihn Steffen Vogel am nächsten Tag aus dem Krankenhaus abholte. Er

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