Und fuehre mich nicht in Versuchung
Christian Vogel eine Gefahr für jeden Laternenmast zwischen Wiesbaden und Mainz, von beweglichen Objek-ten ganz zu schweigen. «Herr Vogel, wir fahren Sie jetzt nach Hause. Morgen melden Sie sich bitte umgehend nach Ihrer Arbeit um 16.00 Uhr im Polizeipräsidium. Ihr Auto können Sie dann später abholen.» Vogel trottete zwischen Arne und Tanja zum Opel. Tanja fuhr, Arne setzte sich mit Vogel auf den Rücksitz. Schweigend fuhren sie über den Rhein zurück nach Mainz. An der Römerquelle ließen sie Christian Vogel aussteigen. Immer noch hing sein Kopf wie willenlos nach unten. Arne ging noch mit ihm zur Haustür des Hochhauses. Vogel zog seine Schlüssel wie ferngesteuert aus der Hosentasche. Arne entschloß sich, ihn bis zur Wohnungstür zu begleiten. Im Fahrstuhl blickte Vogel auf den Boden der Kabine. «Morgen, nach Ihrer Arbeit, um 16.00 Uhr. Und seien Sie pünktlich.»
Vogel nickte nur schweigend, schloß seine Wohnungstür auf und verschwand im dunklen Flur. Ein alter, gebrochener Mann. Noch nicht einmal 40 Jahre alt. Nachdenklich fuhr Arne im Aufzug nach unten. Im Auto setzte Tanja zu einer Erklärung an. «Schon gut», unterbrach Arne sie, «das kann jedem passieren. Wir werden morgen sehen, was er uns zu sagen hat. Jetzt bring mich mal nach Hause. Und quäl dich nicht. Wir sind alle Menschen. Und Menschen fahren manchmal aus der Haut. Auch du, Tanja Schmidt.»
«Aber …», setzte Tanja erneut ein. «Kein Aber, Tanja, sonst mußt du zur Strafe diese Schuhe die nächste Woche ständig tragen.» Tanja schluckte. «Du bist ein Schatz, Arne», sagte sie. «Ich weiß», lächelte er und strich Tanja leicht über den kurz geschorenen Schopf.
* * *
«Immer noch nichts Neues in Sachen Jacobi?» fragte Arne Tanja am nächsten Morgen. Die schüttelte den Kopf. Alle Anstrengungen der letzten Tage hatten sie keinen Schritt weitergebracht. Sie hatten Hunderte Jacobis im Rhein-Main-Gebiet angerufen – ohne Ergebnis. Das Schlimmste war: sie wußten noch nicht einmal, ob einer der angerufe-nen Jacobis einfach gelogen und die Freundschaft zu Steffen Vogel aus Angst oder Vorsicht nicht zugegeben hatte.
Es war zum Verzweifeln. «Meinst du, es war Christian Vogel?» fragte Tanja. Arne schüttelte nachdenklich den Kopf. «Ich glaub’s einfach nicht, er ist eigentlich nicht der Typ dazu. Aber du weißt ja», er lächelte liebevoll zu seiner Kollegin, «daß in einem Menschen ungeahnte Energien schlummern können. Wer weiß, wie Steffen Vogel seinen Neffen hat provozieren können. Vielleicht hat er ihm angedroht, die Zahlungen einzustellen. Denn die 2000
Euro, die waren garantiert dafür gedacht, seine Spielsucht zu finanzieren. Und wenn ein Süchtiger nicht mehr an seinen Stoff kommt, ist er bekanntlich zu allem fähig. Ich frage mich auch, warum Steffen Vogel ihm so viel überwiesen hat. Dazu war er nun wirklich nicht verpflichtet.
Wir werden ja sehen, was er uns heute nachmittag erzählen kann.» Es klopfte kurz, eine Mitarbeiterin steckte ihren Kopf ins Zimmer. «Na, ihr zwei Hübschen, ihr schaut ja ziemlich bedröppelt», zwitscherte sie fröhlich, «Kopf hoch, ich habe neue Erkenntnisse für euch. Die Spurensicherung hat Spannendes für euch beide entdeckt, damit die Sonne wieder scheinen kann.» Sie warf mit geübtem Schwung einen Umschlag auf den Schreibtisch. «Viel Spaß weiterhin!» jubelte sie und schloß die Tür geräuschvoll. Arne und Tanja schauten sich grinsend an. Diese neue Kollegin würde selbst an einem trüben Novembertag Sonnenschein ins Polizeipräsidium zaubern. Wenn es sie nicht gäbe, müßte sie erfunden werden. Dann öffneten sie den Umschlag. «Das gibt’s doch nicht!» Tanja schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. «Aber ich hab mir doch gleich gedacht, daß ein Mann wie der Steffen Vogel irgendeine sexuelle Beziehung haben muß.» Arne stand auf und blickte über ihre Schulter auf das Dossier. Er las laut vor:
«Haare einer weiblichen Person im Schlafzimmer und im Bad. Nicht identisch mit der Putzhilfe. Das ist in der Tat ziemlich eindeutig. Und jetzt haben wir eine zweite Person, nach der wir dringend suchen müssen. Eine Frau. Tanja, schlaff nicht ab, wir fahren nach Gonsenheim und befragen die Nachbarn. Irgendeiner muß doch die Lady, die Steffen Vogel beglückt hat, einmal gesehen haben.» Tanja und Arne waren insgeheim froh über die neue Perspektive.
Es war frustrierend, in einem Fall so festgefahren zu sein wie im Fall Steffen Vogel, und es tat gut, wenigstens
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