Und führe uns nicht in Versuchung: Kriminalroman (German Edition)
– trompeten: »Da werden wir uns so was von die Zecken holen. Eine hab ich schon gefunden. Müssen die unbedingt im Wald rumliegen …«
Er verstummte, als er auf die Lichtung kam. Vielleicht weil Max etwas angenervt dreinblickte. Vielleicht aber auch, weil er die nächste Zecke gefunden hatte.
»Jetzt wären s’ da«, sagte er sehr kryptisch, ohne mich anzusehen.
Großmutter war wie erwartet überhaupt nicht mitfühlend. Sie sah eher so aus, als hätte sie mir gerne die Leviten gelesen. Die Angewohnheit hatte sie früher nämlich immer gehabt, wenn mir etwas Unangenehmes widerfahren war. Bevor sie mich tröstete, wurde ich grundsätzlich erst geschimpft. Vom Rad gefallen zu sein bedeutete nämlich nicht nur ein aufgeschlagenes Knie, sondern auch, dass ich wieder irgendwo unterwegs gewesen war, wo ich nicht hätte herumfahren sollen.
Bei den Leichenfunden war das ganz ähnlich. Dummerweise war nämlich, bevor ich das mit den Toten beichten konnte, die Rosl am Gartenzaun aufgetaucht mit einem: »Und, weißt es schon?« Und Großmutter hatte es eben noch nicht gewusst, weil ich zu lange von der Polizei aufgehalten worden war.
Deswegen war ihr erster Kommentar zu mir auch kein »Mein armes Kind, schon wieder ein paar Tote« gewesen, sondern »Wo hast dich denn schon wieder rumgetrieben?« und dann noch viel böser: »Muss ich mir den ganzen Schmarrn von der Rosl anhören.« Die wusste natürlich um einiges genauer als ich, wie das war, mit dem Leichenfund.
»Ich kann nichts dafür«, sagte ich und setzte mich auf die Eckbank. Irgendwie tat es gut, dass Großmutter kein Mitgefühl kannte. Sie schüttelte nur ungläubig den Kopf über meine Beine.
»Wie der Lazarus schaust aus«, sagte sie tadelnd. »Da g’langen ja die Pflaster gar ned, die wir daheim haben.« Sie hatte anscheinend auch überhaupt keine Lust, Pflaster zu organisieren. Sie schnalzte nur mit der Zunge und mutmaßte, dass ich fürs Leben entstellt sei, mit solchen Beinen.
Zornig sah ich mir meine Beine an. Ich war anscheinend durch alles gelaufen, was auch nur annähernd Stacheln hatte. Angefangen von den blöden kleinen Berberitzen bis hin zum stacheligen Wacholder und den Brombeeren, die einem Stolperschlingen legten.
»Und, wer war’s dieses Mal?«, fragte Großmutter nach.
»Ich hab nicht geschaut«, gab ich zerknirscht zu.
Sie sagte nichts dazu, obwohl man ihr ansah, dass sie das nicht verstehen konnte.
»Die finden das schon raus«, redete ich mich heraus und verschmierte Spucke auf einem Kratzer am Bein.
Aus unserem Wohnzimmer kamen komische Geräusche, als würde ein Hund an der Tür kratzen. Ich sah unter den Tisch, aber unser Hund lag da noch. Außerdem roch es ziemlich angebrannt, obwohl kein Topf auf dem Herd stand.
»Glaubst das nicht«, sagte Großmutter seufzend. »Und gleich drei.«
»Drei?«, echote ich ungläubig. »Drei Leichen? Also, ich hab nur zwei gefunden.«
»Das reicht ja auch«, antwortete sie. »Angefasst hast sie nicht, oder? Dass du mir fei keine Leichen anlangst!«
Ja pfui Teufel.
»Nein, hab ich nicht«, sagte ich mürrisch. Nur das blöde Handy, aber das würde ich nicht verraten. Was ich mir da wieder würde anhören müssen. Über Elektrosmog und Pipapo. Es roch noch immer nach überhitzter Herdplatte. Frustriert stand ich auf, um den Ofen abzudrehen. Wieso konnte sie sich das nicht merken? Irgendwann passierte bestimmt noch etwas ganz Schreckliches. Dieses Irgendwann war drei Sekunden später. Kurz bevor ich den Herd erreichte, machte es PUFF, und die Platte stand in Flammen.
Großmutter stellte sich neben mich, und wir sahen dem Brand bewegungslos zu.
»Wie geht denn so was?«, flüsterte ich, schon ein klein wenig hysterisch.
»Da ist Fett drauf. Auf der Platte«, erklärte Großmutter routiniert. »Des fängt dann zu brennen an. Wenn’s zu heiß wird.«
Wir sahen noch immer zu.
»Mach was«, schlug ich fassungslos vor.
Großmutter beugte sich nach vorn und blies die Flamme aus.
»Oh«, sagte ich nur, während Großmutter sich umdrehte und wieder zur Eckbank ging. Ich schaltete den Herd ab. Mir zitterten die Knie, mir war schon wieder schlecht. Das ging so nicht weiter. Wie sollte ich da in Ruhe arbeiten, wenn meine Großmutter in der Zeit die Küche abfackelte? Da war ja so ein Leichenfund ein Klacks dagegen!
Ich ließ mich ebenfalls auf die Eckbank fallen und atmete ein paarmal tief durch. Irgendwie würde ich das schon lösen.
Da war es schon wieder, dieses komische Kratzen.
Weitere Kostenlose Bücher