Und führe uns nicht in Versuchung
ausbeuterischen Methoden der Modeindustrie mit ihrem Kaufverhalten zu unterstützen. Die Konsequenz dieser Haltung war unübersehbar. Mit der Stola hatte die Saalmann allerdings ihre komplette liturgische Inkompetenz demonstriert – entweder Stola mit Talar oder Zivilkleidung, aber Susanne wunderte sich bei dieser Kollegin über gar nichts mehr. Sogar Dekan Dr. Weimann hatte etwas gequält die Stirn in Falten gezogen. Jetzt saßen sie an den vom Küster liebevoll mit Plastikblumen dekorierten weißen Resopaltischen, mit denen der Gemeindesaal möbliert war, und lauschten dem Rechenschaftsbericht des Stadtkirchenpfarrers. Kollege Zimmermann war, wie üblich, ganz begeistert von seiner eigenen Arbeit. Er erläuterte im Detail, wie positiv der Kirchenladen in der St. Johanniskirche aufgenommen worden war. Jeden Tag konnten sich die Menschen hier über die evangelische Kirche informieren, wieder in die Kirche eintreten oder einfach bei einer Tasse Tee vom Stadtbummel ausruhen. Die zentrale Lage der St. Johannisgemeinde, nur einen Steinwurf vom Dom entfernt, hatte sich für die Einrichtung eines Kirchenladens nahezu aufgedrängt. Susanne döste während des Berichts etwas vor sich hin, sie war ja in der St. Johannisgemeinde als Vakanzvertreterin eingesetzt und begegnete Zimmermann jeden Tag. Über den Kirchenladen war sie wirklich bestens informiert. Ab und an stand sie auch zur Verfügung, wenn von einem Besucher ein Seelsorgegespräch gewünscht wurde und Zimmermann anderweitig zu tun hatte. Im Kirchenladen gab es auch die Möglichkeit zur Beichte, langsam sprach es sich herum, daß diese wichtige Einrichtung in der evangelischen Kirche durchaus noch existierte, wenn sie auch, anders als bei der katholischen Kirche, kein Sakrament war. Aber auch evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer standen unter Schweigepflicht. Nachdem die Beichtgelegenheit auf einem großen Plakat vor der Johanniskirche bekanntgegeben worden war, nutzten immer häufiger Menschen diese Möglichkeit, ihr Gewissen zu erleichtern. Susanne Hertz mochte ihren Kollegen Zimmermann im großen und ganzen, sein lautes Lachen schallte ständig durch die Räume des Kirchenladens, man wußte immer, wo er sich gerade aufhielt. «Es gibt Menschen, die sind unbeirrt so gut gelaunt, daß sie einem schon wieder auf den Nerv gehen können», dachte sie. Aber sie wollte nicht ungerecht sein. Zimmermann war wirklich sehr aktiv und bewegte eine Menge auf seiner Stelle. Überhaupt waren ihr die Kollegen hier in Mainz ganz sympathisch. Pfarrerin Dr. Daubmann, die ihr in ihrem stets perfekten Outfit und Auftreten erst so unnahbar und arrogant erschienen war, zwinkerte ihr gerade verschwörerisch zu. Susanne freute sich schon auf ein Glas Wein mit der attraktiven Pfarrerin, vielleicht konnte sie in der Pause etwas arrangieren. Am Anfang war es ihr etwas schwierig vorgekommen, Anschluß an den Kollegenkreis zu finden. Viele waren schon seit Jahren in Mainz. Offenbar fühlten sich viele hier sehr wohl, kein Wunder, bei einer so idyllisch am Rhein gelegenen gemütlichen Stadt. Eine Spezialität der evangelischen Kirche in Mainz schien es zu sein, daß sich die Pfarrerinnen und Pfarrer häufig innerhalb der Stadtgrenzen orientierten, wenn sie die Gemeinde wechseln wollten. Allerdings gab es deshalb ein ziemlich verwirrendes Geflecht von über die Jahre gewachsenen Beziehungen, das sich nur mühsam durchschauen ließ, für diejenigen, die schon lange dabei waren, aber selbstverständliches Grundwissen darstellte. Susanne scheute sich in ihrer zurückhaltenden Art, direkt nachzufragen, wenn sie eine kryptische Anspielung auf alte Netzwerke nicht begriff. Sie brauchte eben eine Weile, bis sie den Mut fand, von sich aus auf fremde Menschen zuzugehen. Merkwürdigerweise fiel ihr das in ihrer St. Johannisgemeinde gar nicht schwer, auch sonst hatte sie in ihren Gemeinden leicht und schnell Kontakt zu den Menschen gefunden. Im beruflichen Kontext wuchs sie offenbar über sich hinaus, obwohl sie auch hier im Grunde die zurückhaltende Frau blieb, die sie nun einmal war. Im Kollegenkreis war sie zunächst abwartend und ruhig gewesen und hatte beobachtet, mit wem sie es zu tun hatte. Nun, Susanne würde mit der Zeit schon die Mainzer evangelische Pfarrerschaft kennenlernen, bei der großen Zahl der Kolleginnen und Kollegen – wenn alle da waren, mußten über 40 Stühle bereitgestellt werden – würde das aber seine Zeit brauchen. Gerade sprach Kollege Timmerfeld über das Für und Wider
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