Und führe uns nicht in Versuchung
sondern im Baumarkt verbrachten, weil Jens wieder etwas in seinem Restaurant verändern oder die Wohnung verschönern wollte. Sein Wagen hätte auch als Dienstfahrzeug eines Handwerkers durchgehen können, und bei ihren häufigen Flohmarktbesuchen liebte Jens es, altes Werkzeug zu erhandeln. Bei der Renovierung ihres Heims waren seine Kenntnisse Gold wert gewesen. Jens hatte mit Begeisterung gespachtelt und gepinselt und sogar eigenständig die Einbauküche in die Schrägen eingefügt. Die Wände der Dachgeschoßwohnung waren hell gehalten, um das einfallende Licht optimal auszunutzen. Farbliche Akzente wurden schon durch ihre Erinnerungsstücke aus aller Welt gesetzt. Die einzelnen Elemente fügten sich, obwohl, oder gerade weil sie so verschieden waren, harmonisch ins Ambiente ein. Aber harmonisch war Susanne heute nicht zumute. Das Bild der angenagelten Hand wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Sie hatte Dekan Dr. Weimann, ihren sympathischen, väterlichen Vorgesetzten, kurz über die Ereignisse informiert – nur für den Fall, daß ihr Name in den Zeitungen genannt werden sollte. Dann hatte sie mit ihren Eltern und mit ihrem Bruder telefoniert. Jens war, so lange es ging, bei ihr geblieben. Jetzt war sie allein und traurig. Wer konnte so etwas tun, einem Menschen die Hand abhacken, Hähne an Bäume hängen. Sie hatte den ganzen Tag keinen Happen essen können, obwohl ihr Jens etwas Leichtes gezaubert hatte, das sie normalerweise mit Genuß verspeist hätte.
Pfarrerin Susanne Hertz war 37 Jahre alt. Sie war in Bonn als Tochter einer Lehrerin und eines Biologieprofessors geboren worden. Ihr Bruder Sven war zwei Jahre jünger als sie. Susanne hatte ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, fand es aber wichtig, daß «mindestens 100 Kilometer Luftlinie zwischen uns liegen» – sie fürchtete sonst eine Einmischung in ihr Privatleben.
Ihr Vater war emeritiert und verbrachte jede freie Minute auf der Suche nach seltenen Pflanzen oder Tieren. Von ihm hatte Susanne die Liebe zur Natur geerbt, auch wenn sie jetzt erst einmal von Bäumen mehr als genug hatte. Ihre Mutter arbeitete an einem Bonner Gymnasium als Studienrätin für Deutsch und Französisch – «die denkbar dämlichste Kombination, die ich mir hätte aussuchen können, du kommst aus dem Korrigieren gar nicht mehr heraus. Mathe und Sport, das wär’s gewesen!» Von der Mutter hatte sie ihren Sinn für die schönen Seiten des Lebens, ein gutes Essen, einen phantasievoll dekorierten Tisch, einen Sonnenuntergang am Rhein, und eben ein intuitives Gespür für Innenarchitektur.
Susanne war nicht verheiratet, aus irgendwelchen Gründen, die ihr selbst nie ganz klar wurden, war ihr nie der richtige Mann begegnet. Sie hatte zwar immer wieder Beziehungen, aber zum Zusammenleben hatte es nie gereicht. Ihre Liebe zum Mainzer Gastronom Jens Maistrom war jedoch vielversprechend. Susanne konnte sich zum ersten Mal in ihrem Leben vorstellen, ihr Doppelbett (sie hatte schon immer eins gehabt, auch zu Studentenzeiten, weil sie einfach Platz zum Schlafen brauchte) dauerhaft mit einem Exemplar der «Spezies Mann» zu teilen. Gerade waren die beiden von einem spontanen Kurzurlaub aus Paris zurückgekommen.
Ihre Schwägerin Sabine hatte sich schon oft «mitfühlend» erkundigt, wie es denn mit ihrer biologischen Uhr stünde. Susanne hatte solche Bemerkungen immer vehement zurückgewiesen, obwohl sie sich heimlich schon eingestand, daß es langsam Zeit wurde. Auf der anderen Seite wußte sie nicht, wie sie Kinder mit ihrem Beruf als Pfarrerin verbinden könnte und wie Jens und sie bei ihren Arbeitszeiten ein Familienleben gestalten sollten.
Susanne haderte immer wieder mit ihrem Körper. Sie fand sich «mittelbraun, mittelschlank, mittelgroß und mittelschlau.» Sie maß 1,65 Meter und schwankte zwischen Kleidergröße 40 und 42. Einmal alle sechs Wochen gönnte sie sich einen Friseurbesuch bei Marc in Frankfurt, ein Luxus, den sie seit Jahren, einmal abgesehen von der Zeit auf Malta, trotz Stau auf der A66 auf sich nahm, weil «ich mich anschließend ja wieder sechs Wochen im Spiegel anschauen muß. Ein schlechter Schnitt macht mir einfach schlechte Laune.» Marc gelang, was bei früheren Coiffeuren trotz Dauerwellen, Farbversuchen und Strähnchen nie funktionierte (Susanne hatte sich Fotos als schmerzhafte Dokumentation dieser Fehlleistungen aufbewahrt, nur für den Fall, daß sie einmal in Versuchung käme, Marc untreu zu werden) – er verpaßte ihr jedes Mal einen
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