Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Lust habe, mit meinem erfolgreichen Bruder über meine Misserfolge zu reden, sage ich: «Gut. Sie tut kaum noch weh.»
Er wirft mir einen ärgerlichen Seitenblick zu. «Du weißt ganz genau, dass ich nicht deine Nase meine.»
«Sondern?», frage ich mit gespieltem Erstaunen. Es ist ein absichtlich schlecht gespieltes Erstaunen.
Jonas verdreht genervt die Augen. «Ich meine natürlich deine finanzielle Situation. Abgesehen davon finde ich es etwas beunruhigend, wenn ich meinen Bruder bei der Polizei aufgabeln muss.»
«Ich hab einem Patienten geholfen», sage ich. «Und was meine finanzielle Situation betrifft: Geht so.»
«Hab ich mir fast gedacht. Brauchst du Geld?»
«Nein. Ich komm schon über die Runden.»
«Mutter macht sich aber Sorgen», sagt er, und wieder ist da dieser Anflug von Pathos in seiner Stimme.
«Ich weiß», erwidere ich. «Das ist ihr großes Hobby, seit Vater tot ist. Das hat aber nichts mit mir zu tun. Sie kompensiert nur, dass es niemanden mehr gibt, den sie bemuttern kann.»
«Sie hat Vater nicht bemuttert.» Jonas sagt es mit Nachdruck. Wie immer, wenn wir im Gespräch an diesen Punkt kommen, will er der Wahrheit nicht ins Auge sehen.
«Sie hat ihm Papieruntersetzer unters Glas geschoben, damit er beim Saufen keine Kringel auf den Tisch macht. Und sie hat stillschweigend die Karaffe mit seinem Fusel nachgefüllt. Wenn du mich fragst, dann hat sie ihn nicht nur bemuttert, sie hat ihn zu Tode bemuttert.»
Jonas schnauft verärgert. «Jakob, du bist ein ganz schlimmes Schandmaul.»
«Ich vermute, das liegt in der Familie», erwidere ich.
Jonas hat gar nicht zugehört. «Und du bist undankbar», fährt er fort. «Wir wollen dir ja schließlich nur helfen.»
Das stimmt sogar, allerdings ist der Preis, den ich dafür zahle, hoch. Als ich meinen Bruder zuletzt angepumpt habe, musste ich mir einen sehr langen Vortrag über die moralische Verkommenheit von Leuten mit Konsumschulden anhören. Dabei hatte ich gar nicht vor, mit seinem Geld einen Teleshoppingkanal leer zu kaufen, ich wollte nur die nächste Miete finanzieren. Damals dachte ich irrtümlicherweise noch, meine Pechsträhne wäre nicht von Dauer. Jedenfalls habe ich an diesem Tag begriffen, dass mein Bruder nur Banker geworden ist, damit er sich moralisch überlegen fühlen kann. Im Grunde verachtet er Armut als ein Zeichen von Schwäche.
Wenn Jonas mir jetzt generös von sich aus Geld anbietet, dann entweder, weil er etwas im Schilde führt, oder weil ich in seinen Augen endlich so tief gesunken bin, dass sein moralischer Sieg auf der Hand liegt.
«Ich kann dir nicht mal eben aus der Patsche helfen, wenn ich erst in Florida bin», erklärt Jonas. Klingt, als würde er mir alle paar Tage das Leben retten. Dabei ist es schon was Besonderes, dass er seine wertvolle Mittagspause opfert, um mich bei der Polizei aufzulesen. Eigentlich braucht Jonas seine Mittagspause nämlich, um durchzuarbeiten.
«Also, wenn du Geld brauchst, sag es einfach», setzt er nach. «Und sag es bitte bald.» Er lässt sein Fenster heruntersurren, zieht eine Zigarette hervor und zündet sie an.
Es wird binnen zwei Sekunden arschkalt. Da ich meinem Bruder in seinem eigenen Wagen nicht das Rauchen verbieten will, schweige ich und kuschele mich, so gut es geht, in meinen Bademantel. Die gefühlte Temperatur liegt trotzdem unterhalb des Gefrierpunktes. Bald fühlen sich meine Lippen taub an, und ich schlottere ein wenig.
«Ist dir kalt?»
«Bisschen», sage ich zähneklappernd.
Er wirft die Zigarette hinaus und lässt das Fenster wieder hochsurren. «Sag doch was, Mensch!»
«Du hast mir noch nie Geld angeboten», stelle ich fest, als sich meine Körpertemperatur normalisiert hat. «Und du hast zuletzt Mittagspause gemacht, als es eine Bombendrohung in deiner Bank gab.»
Jonas wirft mir einen irritierten Seitenblick zu. Er wirkt verunsichert.
«Willst du mir nicht einfach sagen, was du wirklich auf dem Herzen hast?»
Er wirkt ertappt, greift nach seinen Nikotinkaugummis, steckt sich gleich zwei in den Mund und überlegt. Ich warte.
Endlich räuspert er sich. «Die Wahrheit ist, dass ich die Schnauze voll habe vom Finanzsektor. Ich werde zwar nach Florida ziehen, aber nicht, um dort einen neuen Job anzunehmen. Meine Kündigung liegt schon bei der Bank.»
Hoppla. Ich habe zwar mit Neuigkeiten gerechnet, aber nicht mit einer solch fetten Schlagzeile. Mein Bruder, Mutters Musterknabe, schmeißt die Brocken hin, weil ihm sein persönliches Glück
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