Und immer wieder Liebe Roman
findet jedoch kein interessantes Gesprächsthema. Trotzdem gefällt es ihm, hier zu sein. Es ist eine weniger schmerzliche Erfahrung, als er erwartet hätte. Nun muss er nur noch das Schweigen füllen.
»Wie kommt es, dass du in New York bist? Soll ich dir helfen, einen Job zu finden? Ich könnte mit den Kollegen von BBB reden, das ist ein hervorragendes Büro, und sie sind sehr sympathisch.«
»Der Stil von Renzo Piano gefällt mir nicht besonders, falls ich das sagen darf, und einen Job habe ich schon. Man hat mir ein sechsmonatiges Praktikum angeboten. Ich bin übrigens Architekt, wie Sie.«
Ein beredtes Lächeln, jugendlicher Stolz.
»Ich könnte zwar dein Vater sein, aber du kannst mich ruhig duzen, so unter Kollegen.
»Ich habe dich angerufen, weil ich mit dir über meine Mutter sprechen möchte.« Er sagt es, und es klingt aufrichtig, natürlich und ernst.
»Wie geht es ihr?« Sein Herz schlägt derart heftig, dass er das Pochen zu hören vermeint. Ihm ist schwindelig, und die gnädige Verwirrung, die sich seines Gehirns bemächtigt, schwächt und erleichtert ihn gleichzeitig. Er möchte so beherrscht sein wie immer, aber diesen Jungen hier vor sich zu sehen, ist, als würde er ein Erinnerungsbuch aufschlagen, das von einem Urlaub erzählt, einem Urlaub am Meer, in einem anderen Leben. »Geht es ihr gut?«
»Nein«, antwortet der Junge tonlos und spießt sein Sushi auf, als wollte er etwas abwehren. So scheint es zumindest.
»Und das Geschäft, das Hotel?«
»Läuft großartig, sie haben noch eine Filiale in Rom eröffnet. Mich geht das alles ja nichts an, aber ich musste dich einfach treffen. Ich habe dich gehasst, entschuldige, dass ich das so deutlich sage. Klar, ich weiß, was passiert ist, und das tut mir auch aufrichtig leid. Ich habe dich angerufen, um über sie zu reden«
»Geht es ihr denn nun gut?«
»Gesundheitlich schon. Es ist nur... Sie hat sich so verändert. Sie geht anders seitdem, als wüsste sie nicht genau, wo sie eigentlich hinwill. Sie ist so langsam geworden. Ich kenne sie immer nur im Eilschritt, mit festem Ziel. Abends bleibt sie jetzt stur zu Hause. Sie liest und sieht fern. Na ja, das hat sie immer schon getan, aber irgendetwas ist anders mit ihr. Vielleicht irre ich mich ja, aber es kommt mir so vor, als hättest du eine Menge damit zu tun.« Er ist jetzt voll in Fahrt und zieht etwas hervor. »Das hier habe ich zwischen den Briefen gefunden. Mama hatte sie in eine Schachtel getan. Ich habe etwas in der Hausbibliothek gesucht und... na ja, ich konnte nicht widerstehen. Ich war echt neugierig. So etwas mache ich normalerweise nicht, weil ich ja auch nicht will, dass sie in meinem Zimmer herumkramt. Ich mache das wirklich nicht. Sie ist schon ein besonderer Typ. Aber keine Sorge, ich habe nur ein paar Briefe gelesen. Mich geht das ja alles nichts an, aber... na ja... Ich wollte dir eben sagen, dass du meiner Meinung nach... na ja... Du könntest sie wenigstens mal anrufen. Ich habe sie davon überzeugt, sich ein Handy zu kaufen, jetzt, wo ich hier bin. Das ist die einzige Möglichkeit, wie man sich erreichen kann. Im Moment benutzt sie es nur, um mit mir zu telefonieren. Weißt du... Es tut weh, sie so traurig zu sehen. Deine Briefe sind sehr schön, und auch die Morgan
Library. Entschuldigung, Bedienung, könnte ich bitte noch ein Bier bekommen?«
Der Mann kann es kaum glauben. Emma hat ein Handy? Sie musste es hassen wie die Pest. Schöne Vorstellung, wie sie damit herumfummelt, um ihr Kind anzurufen. Und gemächlich soll sie geworden sein? Es ist schwer, sich dieses Spätzchen vorzustellen, wie es langsam auf seinen hohen Hacken einherschreitet.
»Sie schreibt sogar SMS. Wenn du sie anrufst, freut sie sich vielleicht. Keine Ahnung übrigens, ob das richtig ist, was ich hier mache, ich habe mich tausendmal umentschieden.«
Federico muss lächeln, als er an die Vorsichtsmaßnahmen denkt, an das Geheimnis, an die gut verwahrten Gefühle, an Postfach 772. Sie sind alle noch da, morgen wird er vorbeigehen und sie abholen.
Jetzt, da Mattia seine Ansprache beendet hat, stürzt er sich wie ein hungriger Wolf auf sein Essen. So sind sie, die jungen Leute, sie essen nicht, sie schlingen.
Das muss alles ein verrückter Traum sein. Der Mann fühlt sich erleichtert, als hätte ihm jemand etwas Wichtiges wiedergebracht. In zehn Jahren wird Mattia selbst ein Mann sein, und die Liebe gibt den Stab weiter. Gott, wie beneidenswert. Plötzlich spürt er unendliche Scham in sich
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