Und immer wieder Liebe Roman
aufsteigen. Emmas Handynummer brennt in seiner Tasche. Sie ist eine Art Passierschein. »Danke, Mattia. Und wenn du etwas brauchst, frag nur, ich kann den Kontakt zum Büro herstellen.«
In dieser Nacht würde er nicht schlafen, das wusste er bereits. Er ging und drehte sich nach ein paar Schritten noch einmal um. Der Junge ging schnell, die Stöpsel vom iPod in den Ohren. Sein Gang war so schlaksig wie der von Männern, die eine bestimmte Größe überschreiten.
Finis-Terrae
Winzig und mit einem Helm weißer Haare, die abgestuft in den Nacken fallen, bin ich ein entschieden romantischer Anblick. Ich könnte die Hauptfigur der letzten Seiten eines Liebesromans sein, wenn mich nur jemand sehen könnte, hier auf dem Rasen zwischen den Rosmarinbüschen, Disteln und Weißdornen an den Mauern einer Wetterstation aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ich halte ein Glas Sancerre in der Hand, meine Jeans ist bis an die Knie hochgekrempelt, und meine nackten Füße stecken in einem Paar auberginefarbener Ballerinas.
Ich mache Fortschritte. Ich bin von den hohen Hacken heruntergestiegen, trinke mittlerweile jede Art von Alkohol und färbe mir nicht mehr die Haare (auch wenn das nicht bedeutet, dass ich nicht mehr einmal die Woche zum Friseur gehe). Ich schaue aufs Meer hinaus, während er, braungebrannt unter dem weiß gesprenkelten kurzen Bart, über die Steine geht wie ein Kapitän über die Schiffsbrücke.
Der Leuchtturm, unser Leuchtturm, ist restauriert. Seine Wände sind kalkweiß und die Fensterrahmen kobaltblau gestrichen. Ich habe mein Herz hierher verfrachtet: den Schreibtisch, die beige-weinrot karierten Sessel, die Schlachtertheke, den Sitzpuff und die zerzauste Colette, die den Tauben im Palais Royal Körner hinwirft. Ein Möwenküken landet vertraulich zu meinen Füßen. Es ist August, und ich habe Geburtstag. Bald ist Essenszeit, und die raue Stimme von Carole King besingt die unmögliche Liebe.
»Emmaaa, komm mal und schau dir das an«, ruft der Kapitän.
»Du musst nicht schreien, ich bin doch nicht taub. Komm du lieber zu mir, du weißt nicht, was dir entgeht.«
»Komm schnell, ich bitte dich. Es ist zu schön.«
»Was denn? Was ist zu schön?«
»Es ist Post gekommen.«
»Und ich hab schon wer weiß was gedacht. Will you still love me tomorrow? Hmh, sollen wir tanzen? Ich bin erst beim ersten Glas, und mir dreht sich schon der Kopf.«
Auf dem Monitor meines MacBook blinkt eine neue Botschaft. Betreff: »Da sind wir.« Nein, kein Text, wir sind mittlerweile beim Bild angekommen, das macht man heute so, und ich rebelliere nicht mehr gegen diese unvernünftige Form der Kommunikation, der ich mich jetzt mit der Ehrerbietung widme, die der Moderne gebührt. Ein doppelter Mausklick, und es ist, als hätte ich sie in Fleisch und Blut vor mir. Ich freue mich wie eine Wahnsinnige, sie in der Leinenbluse zu sehen, die sich über ihrem Bauch ordentlich spannt, während er nickt und die Hand hebt, wie vor so langer Zeit. Sie sind schön und verliebt, die beiden, und in kaum mehr als zwei Monaten werde ich Oma. Fast zumindest, wenn man bedenkt, dass Alice die Tochter ist, die ich nie hatte.
Die Buchhandlung hat sich verändert, jetzt, da Federico die Hände im Spiel hat und sie mit zwei hingekritzelten Linien in einen concept store – O Horror! – verwandelt hat. Zum Verkauf stehen Bücher und Kerzen, Blumen und Parfüms und sogar Tapeten mit Texten großer Schriftsteller. Ich habe meine Buchhandlung in gute Hände gegeben und kann mich sicher nicht beklagen: Die Zahlen stimmen, das Hotel läuft wie geschmiert, und die Romane in den neuen Kirschholzregalen sind immer noch nach Liebeskategorien sortiert. Klar, die neuen Stühle aus Holz und Metall sind ein wenig zu minimalistisch für meinen Geschmack,
und der neue Name – Emma’s Dream, weil Lust&Liebe angeblich zu provinziell ist – bereitet mir durchaus Bauchschmerzen. Den Namen »Gasthaus zur Lust und zur Liebe« wiederum haben sie mir gelassen, im Angedenken an die ursprüngliche Inhaberin als wäre ich schon verschieden. Die Videobotschaft hat auch Ton, aber ich begreife nie, wie ich den zum Laufen bringe, und sie werden mich nicht davon überzeugen, vor dieser Spionagekamera mit dem Nichts zu sprechen.
»Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag, liebe Emma, zum Geburtstag viel Glück!«, singen die zwei auf dem Monitor.
»Wie schön sie sind, mir kommen fast die Tränen, Federico. Aber werden sie es denn schaffen,
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