Und Jimmy ging zum Regenbogen
goldenen Herzen, bespien, an Bart und Haaren gezerrt, getreten von SA -Leuten.
Du mein Gott!
Er hatte geweint, tagelang mußte er unvermittelt immer wieder in Tränen ausbrechen danach, und Valerie und Tilly brachten es selbst gemeinsam nicht fertig, ihn zu beruhigen. Nein, nein, das war zu entsetzlich. Und es wurde noch entsetzlicher. Menschen verschwanden zu Tausenden in Kerkern, in Lagern; es kam der Überfall Hitlers auf die Tschechoslowakei, der Überfall auf Polen; es kam der Krieg. Und was mit den Juden weiter geschah …
Aber was konnte man tun?
Wieder austreten aus der Partei?
Landau erschrak halb zu Tode, wenn er nur an die Konsequenzen dieser Möglichkeit dachte. Austreten und sich selber einsperren, quälen, umbringen lassen? Das sollte ihm erst einer vormachen!
Und weiter ging der Alptraum, immer weiter.
Die Bücher, die verboten wurden!
Der Gelbe Stern!
Und die Tafeln beim Eingang von Cafés und Restaurants:
HUNDEN UND JUDEN IST DER EINTRITT VERBOTEN!
Und dann die ersten Berichte von Soldaten auf Heimaturlaub, geflüstert weitergegeben – über Massen-Geiselerschießungen, über Deportationen, über ›Vergasungen‹ und den Mord an Hunderttausenden in Konzentrationslagern, Konzentrationslagern, Konzentrationslagern, überall schien es nun Konzentrationslager zu geben, und was darin geschah, mußte grauenvoll sein!
Nein, er war schon lange kein Nationalsozialist mehr, der arme Martin Landau. Er half, in beständiger Furcht, wo er nur konnte. Daß er Valerie sofort, ganz am Anfang bereits, geholfen und sie angestellt hatte, das war selbstverständlich gewesen. Dagegen hatte nicht einmal Tilly etwas einzuwenden gehabt. 1921 schon war er Valerie begegnet – achtzehnjährig. Er hatte sich damals sehr für Kunstgeschichte interessiert, genau wie Valerie, die an Kursen der Volkshochschule teilnahm. Bei seinen häufigen Besuchen der Albertina, jenes Museums nahe der Oper, das eine weltberühmte Sammlung von Handzeichnungen und Graphiken enthält, war er Valerie immer wieder begegnet und hatte sich mit ihr befreundet, auf sehr scheue, gehemmte Art, die einzige, in der Martin Landau sich mit anderen Menschen befreunden konnte. Dann hatte Valerie Paul Steinfeld geheiratet, der damals politischer Redakteur einer großen Zeitung war. Zum Rundfunk kam er erst 1930. Valerie hatte die Männer miteinander bekannt gemacht, sie waren nun sehr häufig zusammengetroffen in der Wohnung der Steinfelds – es war noch nicht jene in der Gentzgasse –, Martin hatte die Geburt des Sohnes erlebt, seine Freundschaft war inniger und inniger geworden mit den Jahren.
Selbstverständlich, daß er da half, als die Not kam, 1938. Selbstverständlich, daß er auch – zitternd – anderen Menschen, Verfolgten, später half, wenn Valerie ihn darum bat, ihnen beizustehen. Immer mehr quälte Landau sich mit Selbstvorwürfen, immer nervöser, zerfahrener wurde er. Und ein richtiges Wrack war er, als dann Nora Hill erschien.
Ihr Besuch hatte ihn entsetzlich erschreckt. Noch mehr erschreckte ihn, was Valerie berichtete, nachdem sie aus der Stephanskirche und von dem Gespräch, das sie dort mit Nora Hill geführt hatte, zurückkehrte. Er atmete auf, als Valerie sagte: »Das tue ich nicht. Einen solchen Wahnsinnsprozeß führe ich nicht.
Niemals!
«
Niemals, Gott sei Dank.
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – so zu leben bemühte sich Martin Landau nun, und darum duldete er auch nie, daß Valerie ihm erzählte, was sie im Radio erfahren hatte. Richtig tobsüchtig wurde er, als sie es einmal versuchte.
»Nein! Nein! Nein!« rief er da, mit sich überschlagender Stimme. »Ich will es nicht hören! Immerhin schlimm genug, was alles passiert …« Ganz und gar unlogisch war, was er da schrie, er wußte es, und darum schrie er um so lauter: »Wie viele Verbrechen geschehen, wie grauenhaft ist dieser Krieg! Wem wird man die Schuld geben zuletzt? Uns! Uns, die wir niemandem etwas Böses getan haben, Valerie, mir … Millionen kleinen Leuten hier in der Heimat, und den armen Hunden, die an der Front stehen und kämpfen! Kämpfen müssen gegen einen unerbittlichen Feind! Wie viele fallen! Die Besten! Die Jüngsten! Für diesen Wahnsinn, ja, Wahnsinn sage ich! Aber immerhin, das kann heute jeder sagen! Damals, als es begann, da konnte es noch keiner erkennen …«
Da war ein großes Mitleid über Valerie gekommen, und sie hatte gesagt: »Verzeih. Ich werde dir nie mehr etwas erzählen.«
Und sie versuchte es nie
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