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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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riechenden Gewölbe saß Landau und dachte voll Selbstmitleid: Verbieten sollte ich es ihr. Verbieten, jawohl! Aber ich bin eben immer viel zu gut.
    Das war Martin Landau wirklich. Nicht viel zu gut, aber gut. Er war ein guter und ein schwacher Mensch. Ein sehr schwacher allerdings – ein Ästhet, ein Traumwandler!
    Stundenlang konnte dieser Martin Landau beispielsweise von versunkenen Kulturen erzählen. Wenn man ihn aber am Ende eines Tages fragte, wie hoch der Umsatz gewesen sei, was er verkauft und eingenommen habe, dann errötete er sanft, hob die ohnedies ewig leicht gehobene linke Schulter noch etwas höher, legte den Kopf noch etwas schiefer, lächelte und rieb die Hände ineinander. Er hatte keine Ahnung.
    Dazu war Valerie Steinfeld da. Die wußte einfach alles, sorgte für alles, kümmerte sich um alles, was das Geschäft anging. Und was sein Privatleben betraf, so war da Tilly, die sich aller persönlichen Dinge annahm, seine Anzüge in Ordnung hielt, Wäsche und Schuhe für ihn kaufte – im dritten Kriegsjahr nicht mehr einfach und auch nicht immer ganz Legal – und die als Hausfrau in der mit Kunstschätzen angefüllten Villa in Hietzing waltete.
    Martin Landaus Interesse an längst vergangenen Reichen und Kulturen war natürlich (jeder, der ihn etwas näher kannte, begriff das sofort) nur der Versuch einer Flucht vor allem, was ihn die Zeit, in der er lebte, unerbittlich mitzuerfahren zwang.
    Und dabei hatte alles so erhebend begonnen. Denn immerhin …
    Immerhin!
    Das war Martin Landaus Lieblingswort.
    Immerhin gab es, als Hitler nach Österreich kam, in dem kleinen Land mehr als 600 000 Arbeitslose, zehn Prozent der Bevölkerung. Immerhin kaufte kaum ein Mensch mehr Bücher, und das Geschäft ging elend. Immerhin regierte vielerorts der Pöbel die Straße, und es bestand die Gefahr, daß der Bolschewismus das Land überollte. Es wurden häufig sogar bereits Offiziere beschimpft! Immerhin war Österreich ein Teil des deutschen Sprachraums von alters her und sein ›Anschluß‹ an Deutschland ein Akt, den Martin Landau zuerst ehrlich und von Herzen begrüßte.
    Er stand an der Ringstraße, als über diese die Männer der ›Österreichischen Legion‹ marschierten, nach Deutschland geflohene, nun heimkehrende Nationalsozialisten. Elegante neue Uniformen trugen sie, glänzende Stiefel, die Sturmriemen ihrer Kappen um das Kinn. So paradierten jene Männer, die – einer Überzeugung wegen, immerhin! – jahrelanges Exil ertragen hatten, nun mit ihren Schellenbäumen, Fahnen und Standarten, sangen das ›Wiener Jungarbeiterlied‹: »Es pfeift von allen Dächern, für heut die Arbeit aus«, und links zwei drei, und rechts zwei drei, und Zucht war da und Ordnung und Disziplin, und links zwei drei und des Jubels, zwei drei, der Erschütterung, zwei drei, und des Stolzes unter den dichtgedrängten Massen war kein Ende, »Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen …«, und gar manches Auge wurde feucht, zwei drei … Auch Martin Landaus Auge, gewiß. Wer das nicht miterlebt hatte, sollte schweigen, der konnte das nie verstehen, also durfte er auch nicht darüber lästern. Nein, das konnte keiner nachempfinden, der nicht dabeigewesen war, und auch nicht, daß man danach natürlich, halb hingerissen, halb erschrocken vor so viel Macht und neuer Gewalt, eilends in die Partei eintrat, besten Glaubens, denn immerhin: Plötzlich gab es wieder Stärke, Führung, Nationalstolz! Keine Bettler mehr auf den Straßen! Keinen Hunger mehr unter dem Proletariat! Es gab kein Proletariat mehr! Nur noch Volksgenossen!
    Wenn einer Martin Landau damals gesagt hätte, was gleich danach geschehen sollte – er hätte nur gelacht. Und war doch einer der Dümmsten nicht, war einer, der an das Edle und Gute glaubte, an den Beginn einer neuen Zeit. Immerhin!
    Oh, und dann der erste Schock, der erste grauenvolle Augenblick des Entsetzens, da er feststellen mußte, daß sein guter alter Freund Paul Steinfeld zu Recht und eben noch zur rechten Zeit geflüchtet war. Als fünf Tage nach Pauls Abfahrt der weltbekannte Kulturhistoriker Egon Friedell – er hatte zu allem andern auch noch gleichfalls in der Gentzgasse gelebt, unweit den Steinfelds – aus dem Fenster in den Tod sprang, nachdem SA -Leute sein Haus betreten hatten! Und der nächste Schock, der sogleich folgte, als Martin Landau sah, wie alte Juden Straßen mit Lauge säubern mußten, begafft und verhöhnt von Kindern, Bürgern, Wienern mit dem bekannten

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