Und Jimmy ging zum Regenbogen
schämen, so etwas zu verteidigen! Meinetwegen beschweren Sie sich doch beim Gauleiter! Er kennt mich!« Friedjung schrie weiter, über den Schreibtisch geneigt, Valerie direkt ins Gesicht: »Ich kann nicht verhindern, daß jetzt gemauschelt und das Recht verdreht werden wird. Nein, das kann ich nicht! Aber eines kann ich, denn hier bin
ich
der Herr, Frau Steinfeld, ja? Nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis: Was sich Ihr Sohn erlaubt hat, das ist unverzeihlich, ja? Das vergebe ich ihm nie! Die Würde dieses Hauses verbietet es.« Leise wurde die Stimme, noch weiter neigte Friedjung sich über den Tisch. »Sie führen also jetzt einen Abstammungsprozeß, ja? Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Es hängt natürlich auch vom Zufall ab, ja, und von dem Glück, das Sie bei diesem Lügenwerk haben …«
»Herr Direktor!« Forster sprang wieder auf.
»… und ob Sie eine gute Lügnerin sind, ja, oder eine schlechte, ja, und ob man Ihnen Ihre Lügen glaubt!« (Warum ist dieser Mann nur so erregt, so außer sich? grübelte Forster): »Ihnen sage ich, Frau Steinfeld: Der Judenbengel …«
»Jetzt ist es aber genug!« schrie Forster. Vielleicht hilft schreien, dachte er. Es half nicht.
»Genug? Dann gehen Sie doch. Das hier ist
mein
Büro, ja? Hier sage ich, was ich denke. Und ich sage: Der Judenbengel kommt mir nicht mehr an mein Institut – und wenn Sie noch so gut lügen, und wenn Sie noch so viel Glück haben, und wenn Sie das Gericht betrügen und diesen Prozeß gewinnen! Er kommt mir nicht mehr ins Haus, haben Sie das verstanden, ja?«
Friedjung keuchte. Er sah noch bleicher aus und ließ sich in seinen Sessel fallen. Forster sah, daß Valeries Hände zitterten, daß sich ihre Lippen bläulich verfärbt hatten. Er ergriff ihren Arm.
»Kommen Sie, gnädige Frau. Jedes weitere Wort an diesen Herrn ist vergeudet. Ich werde Sie und mich vor seinem Betragen zu schützen wissen.« (Ach, wie denn? dachte Forster. Dieser Mann ist ja nicht zurechnungsfähig! Was gibt es bloß zwischen ihm und Frau Steinfeld? Auch der wildeste Nazi würde sich nicht so aufführen.) Forster warf einen Blick zurück.
Dr. Karl Friedjung saß hinter dem großen Arbeitstisch und starrte Valerie, die gleichfalls zurücksah, mit einem Ausdruck pathologischen Hasses an. Er keuchte noch immer. Sein Mund war halb geöffnet. Und seine Hände waren so fest geballt, daß die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten.
Im Vorzimmer, wo zwei Sekretärinnen auf ihren Maschinen eifrig tippten, half Forster Valerie in den Mantel. Er zog seinen an, nahm die Regenschirme und seinen Hut, grüßte kurz und verließ mit Valerie den Raum.
Die Gänge des Hauses und die breite Treppe waren erfüllt von plaudernden, rufenden und fröhlich herumrennenden Jungen in weißen Mänteln. Es roch nach Chemikalien im ganzen Institut. Vor dem Eingang blieb Forster stehen. Während er seinen Schirm aufspannte, fragte er: »Haben Sie eine Erklärung für dieses wahnwitzige Benehmen des Herrn Friedjung, gnädige Frau?«
Valeries Gesicht war ausdruckslos.
»Keine Erklärung.«
»Aber das war doch nicht normal! Gnädige Frau!«
Valerie sagte: »Er ist eben so ein Mensch. Ein Mensch zum Fürchten. Ich … ich fürchte mich schrecklich vor ihm, Herr Doktor.«
»Aber warum?«
»Weil er so ist … weil er immer so war ..«
»Was heißt immer?«
»Seit ich ihn kenne.«
»Und seit wann kennen Sie ihn?«
»Wie meinen Sie …« Valerie fuhr herum. Ihre Augen flackerten. »Seit Heinz mit ihm zu tun hat, natürlich. Was dachten Sie?«
Zwecklos, dachte Forster. Entweder sie sagt die Wahrheit, oder sie will mir etwas verschweigen. Das wäre schlimm. Aber tun kann ich nichts dagegen. Er meinte, einen Arm um ihre Schulter legend: »Nun beruhigen Sie sich. Dieser feine Herr hat zum Glück in unserem Prozeß nicht das Geringste zu sagen. Kommen Sie, schnell, da sehe ich eine Straßenbahn!« Sie eilten beide unter ihren Schirmen durch den eisigen Regen und den böigen Wind zur nahen Haltestelle.
Warum sagt Valerie Steinfeld mir nicht die Wahrheit? grübelte Forster, während er durch Pfützen lief, die hoch aufspritzten. Warum nicht? Er war davon überzeugt, daß sie ihm etwas verschwieg, er hatte ein feines Gefühl für so etwas. Und, dachte er, sie wird mir die Wahrheit nicht gestehen, ich werde sie nie erfahren.
51
»Was war, Mami? Was hat er gesagt?«
Mit diesen Worten kam Heinz Steinfeld in das große Wohnzimmer gestürzt. Sein schwarzer, dicker Gummiregenmantel
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