Und Jimmy ging zum Regenbogen
eingerichtet – kein Teppich, billige Möbel aus hellem Holz, Bücherwände, Aktenschränke. Durch ein mächtiges Fenster blickte man auf den verlassenen Sportplatz, der zum großen Teil unter Wasser stand. Die Bäume hatten das letzte Laub verloren, ihr Holz glänzte schwarz. Eine Tür des Raums war halb geöffnet. Man sah in Friedjungs privates Laboratorium.
»Aber ich sage die Wahrheit! Herr Direktor, ich …«
Friedjung winkte verächtlich ab.
»Lügen! Nichts als Lügen. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie mir mit so etwas kommen, hätte ich Sie überhaupt nicht empfangen!« Sein schmales Gesicht war blaß und wutverzerrt.
Warum ist dieser Mann derartig wütend? überlegte Forster, während er, an seinem rechten Ohr zupfend, ruhig einwarf: »Sie hätten uns empfangen müssen, Herr Direktor.«
»Meinen Sie!«
»Ich bin überzeugt davon. Wir haben in dieser Angelegenheit nämlich auch bereits den Herrn Gauleiter aufgesucht. Er empfing uns ohne weiteres. Und ohne eine derartige Reaktion, Herr Direktor.«
»Sie waren beim Gauleiter …«
»Gewiß.« Dreckskerl, verfluchter, dachte Forster. Nazischwein, elendes. Er lächelte höflich. »Es gehört zu meinen Pflichten, den Herrn Gauleiter und Sie persönlich davon zu verständigen, daß ich in meiner Eigenschaft als Rechtsfreund der Frau Steinfeld beim Landgericht Wien Klagebegehren des Inhalts eingebracht habe, daß Heinz Steinfeld nicht jüdischer Mischling Ersten Grades ist, sondern von durchwegs arischen Elternteilen abstammt. Die Klage hat die Nummer 25 Cg 4/42.«
»Die Nummer interessiert mich nicht! Das ist doch alles ein einziger jüdischer Dreh!«
Forster stand auf, er sagte: »Herr Direktor, ich bin zugelassener Anwalt. Ich bin Arier wie Sie. Sie werden sich für diese letzten Worte entschuldigen, oder ich werde eine Beleidigungsklage gegen Sie erheben.« Das wirkte. Friedjung verzog das Gesicht zu einem häßlichen Grinsen. »War nicht so gemeint. Also gut, Herr Doktor, ich entschuldige mich bei Ihnen, ja? Bei
Ihnen!
Und nun setzen Sie sich wieder.«
Forster setzte sich wortlos.
Eine Klingel schrillte draußen im Haus. Gleich darauf flogen Türen auf, und viele jugendliche Stimmen erklangen. Man hörte Schritte, Gelächter, Geschrei. Eine Pause hatte gerade begonnen.
Valerie sagte mit fester Stimme: »Der Herr Gauleiter hat uns zugesichert, daß, solange dieser Prozeß läuft, keinerlei Schritte gegen meinen Sohn unternommen werden. Das sollen wir auch Ihnen mitteilen.«
Friedjung ballte die Fäuste auf der Tischplatte. Er schien – Valerie berichtete dem nicht anwesenden Martin Landau später, was sich in der Staatsschule für Chemie ereignet hatte – kaum fähig, seine Erregung zu beherrschen.
Ist das nur ein Choleriker? dachte Forster unruhig. Oder was regt diesen Mann so auf, wenn Valerie Steinfeld spricht, wenn er sie bloß ansieht? Sind die beiden schon einmal aneinandergeraten? Gibt es da ein Zerwürfnis zwischen ihnen? Forster nahm sich vor, seine Mandantin danach zu fragen.
Friedjung sagte, jetzt mit gepreßter Stimme: »Keinerlei Schritte, ja? Gut. Sehr gut. Ausgezeichnet. Hervorragend ausgedacht.«
»Herr Direktor, bitte!« Überwertigkeitskomplexe, dachte Forster. Der Lump. Der Supermensch. Herrenrasse. So sieht das aus. »Es ist genau, wie Frau Steinfeld sagt. Jedes Verfahren gegen Heinz ruht bis zum Abschluß des Prozesses.«
Draußen, auf den Gängen, lachten Jungen laut.
»Wie lange wird der Prozeß dauern?«
»Das ist völlig unbestimmt. Vielleicht lange …«
»Ah, ja?«
»… vielleicht ist er schon sehr bald beendet. In einem für Heinz positiven Sinn, der die Wahrheit ein für allemal festlegt.«
»Welche Wahrheit?«
»Daß er Arier ist.« Forster und Valerie waren in den letzten drei Wochen häufig zusammengewesen, sie hatten alle Einzelheiten genau durchgesprochen, gemeinsam das Klagebegehren aufgesetzt, und Valerie befand sich in einem Zustand, den man fast manisch-depressiv nennen konnte: Einmal war sie euphorisch und sah alles in glücklicher Weise sich lösen, gleich darauf befiel sie Angst, und sie hatte furchtbare Träume. Immer wieder aber war es in diesen Wochen Forster gewesen, der ihr neuen Mut gegeben hatte.
»Arier!«
schrie Friedjung plötzlich los, so heftig, saß selbst Forster zusammenfuhr. »Ich will Ihnen mal was sagen, Frau Steinfeld! Ihr Sohn
ist
kein Arier! Ihr Sohn ist ein jüdischer Mischling!«
»Herr Direktor, zum letztenmal …« rief Forster.
»Ach, Sie! Sie sollten sich
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