Und Jimmy ging zum Regenbogen
Mann geriet in ein wahres Delirium. Seine Stöße waren die einer unbarmherzigen Maschine.
»Ah … jetzt!«
Nora bewegte sich nicht mehr. Sie hatte das Bewußtsein verloren. Als sie wieder zu sich kam, war sie allein. Sie besaß keine Vorstellung davon, wie lange sie so auf dem Boden gelegen hatte, nackt, besudelt, mit verdrehten Gliedern. Es war dunkel im Raum, nur das Kaminfeuer erleuchtete ihn. Vorsichtig richtete Nora sich auf. Als sie versuchte, einen Schritt zu machen, fiel sie um.
Erst nach einer Weile hatte sie genügend Kraft, um durch den Wohnraum in ihr Schlafzimmer zu taumeln und das elektrische Licht anzudrehen. In einem Spiegel betrachtete sie sich. Ihr Gesicht war kreideweiß, das Make-up verschmiert. Sie hob den Kopf, um den Hals sehen zu können. Keine Spur, wie Carlson gesagt hatte. Nackt, mit herabhängenden Strümpfen, ohne Schuhe, stand Nora da. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen. Keuchend starrte sie zur Deckenlampe empor.
»Und das machen wir jetzt immer so!«
Sie fuhr zusammen.
Sie hatte Carlsons Stimme gehört, deutlich, ganz deutlich!
Entsetzt sah sie zur Tür.
Da war niemand.
Einbildung. Angst.
Aber er war da, er war im Haus. Oder holte er schon Flemming ab? Dann mußte sie sich waschen, schminken, umziehen, die zerrissenen Kleidungsstücke verstecken, damit Flemming nichts merkte, wenn er kam. Sie erhob sich halb …
»Und das machen wir jetzt immer so!«
Die Worte klangen in ihren Ohren. Sie preßte beide Hände an den Kopf.
Todesangst habe ich durchlitten, gräßliche Todesangst. Wenn ich mich ergebe, wenn ich nichts gegen Carlson unternehme, wird er es wirklich wieder und wieder mit mir tun auf ›seine Tour‹. Und wenn er einmal in der Ekstase den Knebel zu fest und zu lange anzieht?
Das halte ich nicht aus. Nicht ein einziges Mal mehr.
Aber was soll ich tun? Wenn ich mich wehre, verrät er mich. Und was geschieht dann mit all diesen Menschen? Nora vergrub den Kopf in den Händen die nackten Arme auf die nackten Knie gestützt. Sie überlegte verzweifelt …
Als Carl Flemming, groß, stark, gut aussehend, mit kurzgeschnittenem, drahtigem Haar, das an den Schläfen schon ergraute, eineinhalb Stunden später nach Hause kam, eilte er sofort in den ersten Stock, klopfte an Noras Tür und trat schnell ein. Sie saß beim flackernden Kaminfeuer, rauchte und hielt ein Glas in der Hand.
»Mein Herz …« Der Chef des Wiener ›Arbeitsstabes Flemming‹ des Berliner Auswärtigen Amtes eilte auf Nora zu und küßte sie zärtlich. »Entschuldige, es hat lange gedauert heute. Ich mußte in der Stadt essen …«
»Carl.«
Ihre Stimme ließ ihn aufhorchen.
»Was hast du?«
»Ich muß dir etwas erzählen. Setz dich, bitte.«
»Was, jetzt gleich?«
»Jetzt gleich, ja«, sagte Nora Hill, trank ihr Glas aus und stellte es fort.
»Was gibt’s, Nora? Was mußt du mir sagen?« Er sank neben ihr in einen Sessel.
»Eine Menge«, antwortete Nora Hill. »Es handelt sich um eine gewisse Valerie Steinfeld …«
59
»Was haben Sie Flemming erzählt?« Manuel starrte die Frau mit den gelähmten Beinen, die ihm gegenübersaß, verblüfft an.
»Alles«,
sagte Nora Hill. Sie hob ihre Zigarettenspitze, sog den Rauch ein und blies ihn durch die Nase wieder aus. »Nach reiflicher Überlegung schien es mir der beste Weg. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Hier. In diesem Raum. Vor diesem Kamin.«
»Sie haben Valerie Steinfeld verraten?«
»Das sage ich doch. Valerie Steinfeld und Martin Landau, den ganzen Plan des Prozesses … alles.«
»Und Flemming? Wie reagierte er? Was geschah danach?«
Es klopfte.
»Ja!« Nora Hill sah zur Tür.
Georg, seit langer Zeit Noras Geliebter, Vertrauter und Vertreter, trat ein. Sein Smoking war tadellos gebügelt wie immer und seine plissierte Hemdbrust makellos rein.
»Ich bitte um Verzeihung, Madame, aber es ist schon fünfzehn Minuten vor zwölf. Der Herr wartet seit einer halben Stunde. Er läßt sagen, daß er Madame dringend bittet, zu kommen.«
»Was, schon dreiviertel?« Nora machte ein erschrockenes Gesicht. »Wie die Zeit vergeht, wenn man erzählt! Man vergißt ganz die Gegenwart, nicht wahr, Herr Aranda?« Nora Hill hatte die Gegenwart, während sie erzählte, keinen Augenblick vergessen. Unterhalb des breiten Randes aus Lapislazuli-Steinchen, der den Kamin umgab, befand sich neben Noras Sessel ein Klingelknopf. Durch Druck auf ihn konnte sie jederzeit Georg herbeirufen. Er hatte auf den Ruf gewartet an diesem Abend. Und Nora
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