Und Jimmy ging zum Regenbogen
hatte den Knopf gedrückt, als sie Manuel gerade berichtete, wie Carl Flemming an jenem Abend vor sechsundzwanzig Jahren in denselben Raum getreten war, in dem sie sich nun befanden.
»Sagen Sie dem Herrn, ich bitte um Verzeihung und komme sofort, Georg.«
»Gewiß, Madame.«
»Und bringen Sie Herrn Aranda zu seinem Wagen.«
»Ja, Madame.«
»Aber hören Sie … Sie können doch nicht gerade jetzt …« Manuel war aufgesprungen.
Nora griff nach den Krücken und erhob sich.
»Es tut mir leid, mein Freund.«
»Bitte, erzählen Sie mir wenigstens, was geschehen ist, nachdem Sie Flemming alles gebeichtet hatten!«
»Ich muß diese Unterhaltung jetzt wirklich abbrechen. Ich sagte Ihnen doch, ich erwarte heute noch wichtigen Besuch – erinnern Sie sich nicht?«
»
Bitte!
Bitte, noch fünf Minuten!«
»Ausgeschlossen. Wissen Sie, wer der Mann ist? Ich sage es Ihnen, weil ich sicher bin, daß Sie mich nicht verraten werden. Ein Steuerfahnder …«
»Steuerfahnder?«
»Ich habe eine Betriebsprüfung.«
»Hier?«
»In einem anderen Teil meiner Betriebe – in den Bars. Hier könnte ich keine bekommen.«
Diener Georg beeilte sich, zu erklären: »Prostitution ist nämlich in Österreich steuerfrei. Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs!«
»Ja«, sagte Nora, »tatsächlich. Nach dem Gerichtsentscheid bringt Prostitution eine ›Abnützung und Wertminderung des eigenen Körpers‹ mit sich. Abgaben an das Finanzamt kämen also einer Doppelbesteuerung gleich. Und die wäre natürlich unstatthaft. So weit, so schön. Aber in den Bars stimmt einiges nicht, wie Sie sich denken können. Zum Glück ist der Prüfer ein verständnisvoller Mann, nicht wahr, Georg?«
»Sehr verständnisvoll, Madame. Deshalb kommt er jetzt auch hierher.«
»Wir müssen eben sehen, wie wir gewisse Dinge zurechtbiegen … Sie verstehen … Georg …«
Der Diener berührte Manuels Arm.
»Lassen Sie mich los!« Manuel schlug nach ihm.
Georg packte den Arm plötzlich hart.
»Nicht, Herr«, sagte er lächelnd. »Tun Sie das nicht. Kommen Sie, ich bringe Sie hinunter.«
»Madame … Madame,
etwas
Zeit wird das doch noch haben, bitte …«
»Leider nicht, mein Freund. Ich darf den Beamten nicht länger warten lassen. Und es wird stundenlang dauern. Dabei muß dieser Mann morgen früh ganz zeitig im Amt sein. Wir haben Probleme von ziemlichem Ausmaß zu bewältigen. Sie entschuldigen – es geht um sehr viel Geld …«
»Madame …«
»
Nein
. Machen Sie mich nicht ärgerlich, Herr Aranda! Ich sage doch: Kommen Sie wieder. Ich habe noch viel zu erzählen. Und vergessen Sie Ihren Hofrat nicht. Der wartet ab zwölf auf Sie. Es ist fast Mitternacht. Sie kommen ohnedies zu spät. Sie könnten gar nicht mehr hierbleiben, auch wenn ich Zeit hätte. Schließlich sind die Fotos doch im Moment wichtiger als alles andere – oder?«
Manuel gab auf.
»Sie haben recht.«
»Aber Sie rufen an! Sie kommen wieder!«
»Bestimmt.«
»Gut.« Sie reichte ihm eine kühle, trockene Hand. Er küßte sie.
»Mein Herr«, sagte Georg.
»Machen Sie sich keine Mühe! Ich kenne mich hier schon aus.«
»Nein, nein, ich begleite Sie selbstverständlich. Madame wünscht es so.«
Die beiden Männer sahen einander an. Georg lächelte unerschütterlich. Manuel zuckte die Schultern. An der Seite des Dieners verließ er den Raum, nachdem er sich vor Nora verneigt hatte.
Sie wartete einen Moment, dann schwang sie auf ihren Krücken in den Gang mit den vielen Türen und den neunundvierzig Stellungen des Giulio Romano hinaus. Manuel und Georg verschwanden eben hinter einer Biegung vor der Treppe, die in die Halle hinabführte. Musik, Stimmen und Gelächter drangen zu Nora herauf.
Sie wartete wieder einige Sekunden, dann schwang sie den Gang hinab. Die Lämpchen über manchen Türen brannten, auch die über der des ›Kleinmädchen-Zimmers‹, das Nora betrat, ohne anzuklopfen.
Jean Mercier erhob sich aus dem roten Sesselchen.
Nora warf die Tür hinter sich zu.
»Großartig, Madame, ganz großartig!« rief der Franzose.
»Santarin schon fort?«
»Er ist erst vor einer halben Stunde gegangen. Bis dahin haben wir beide alles gehört, was Sie dem jungen Aranda erzählten. Santarin läßt sich herzlich bedanken. Er ist so zufrieden wie ich. Aber daß Sie Ihre Erzählung gerade an dieser Stelle unterbrochen haben, das war die Spitze! Herrlich! Und
ob
Aranda nun wiederkommt!«
»Ja, davon bin ich auch überzeugt«, sagte Nora Hill und dachte: Wenn
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