Und Jimmy ging zum Regenbogen
tut mir leid«, sagte Groll. »So war es. Möchten Sie vielleicht etwas trinken?«
»Nein, danke.«
»Whisky? Cognac? Slibowitz? Wodka?«
»Nein, wirklich nicht. Ich … ich möchte …«
»Was?«
»Ich möchte das Band noch einmal hören«, sagte Manuel Aranda.
9
»Ihr Vater war Chemiker, heißt es …?«
Irene Waldegg fuhr vorsichtig das Stück Allee zwischen den Gruppen 73 und 55 entlang. Beim letzten großen Rondell war ihr ein verlassener Wagen aufgefallen, der dort parkte.
»Chemiker, ja, und Biologe.« Manuel Aranda nickte. Sie sprachen jetzt wieder mit normalen Stimmen, leise und scheu, so, als schämten sie sich für ihr Betragen bei der Begegnung. »Er besaß eine Fabrik in Buenos Aires, die QUIMICA ARANDA .«
»Pharmazeutika?«
»Nein. Die QUIMICA ARANDA ist eine der Hauptherstellerinnen Argentiniens von Pflanzenschutz- und Insektenvernichtungsmitteln.«
»Also eine große Fabrik.«
»Sehr groß, ja. Deshalb wurde mein Vater auch als Vertreter seines Landes zu diesem Kongreß in Wien geladen. Pflanzenschutz-Experten aus der ganzen Welt trafen sich hier.«
Irene Waldegg fuhr über spiegelndes Eis. Es war nun sehr warm im Wagen.
»Sind Sie auch Chemiker?«
»Ich studiere noch. Letztes Semester. Aber ich habe natürlich schon in unseren Laboratorien gearbeitet – während der Ferien.«
Irene Waldegg bog in die Allee zwischen den Gruppen 73 und 74 ein. Sie fuhr langsam.
»Da vorne irgendwo ist es. Die Gruppe fängt hier an.«
»Der fünfte Weg, sagte der Pförtner.«
»Ja, der fünfte Weg. Schwer zu sehen bei dem Schnee. Vorgestern war wenigstens ein Pfad freigeschaufelt. Alles längst zugeweht.«
Aus der Ferne erklang ein leises Dröhnen, das rasch lauter wurde. Vom nahen Flughafen Schwechat war wieder einmal eine Maschine gestartet und schickte sich an, den Friedhof zu überfliegen.
»Das ist der zweite Weg …«
»Richtig«, sagte Aranda. »Ihre Tante – war sie einmal verheiratet?«
»Sie war es, ja. Ihr Mann ist noch während des Krieges gestorben.«
»Wo?«
»An der Front, glaube ich. Nach einer Verwundung. Ich weiß es nicht genau. Valerie hat nie gerne darüber gesprochen. Der dritte Weg …«
Das Dröhnen der anfliegenden Maschine war sehr laut geworden.
»Und Kinder hatte sie nicht?«
»Doch. Einen Sohn. Aber mit dem verstand sie sich nie. Leider. Der war bei Kriegsende noch keine zwanzig Jahre alt. Heinz hieß er, ich habe Fotos gesehen. Sieht nett aus auf den Fotos. Aber er vertrug sich nicht mit Valerie!« Irene Waldegg schrie jetzt beinahe, so laut war der Lärm des Flugzeugs geworden. »1947, als die großen Auswandererprogramme nach Kanada anliefen, hat er sich sofort gemeldet und ist fortgezogen. Ein Jahr später kam er dann bei einem Autounfall in Quebec ums Leben. Das war der vierte Weg. Und da vorne ist der fünfte!« Irene ließ den Mercedes ausrollen. Die Maschine war jetzt direkt über ihnen. Ihre Düsen röhrten, heulten und kreischten. Sie jaulten und donnerten und schienen das Flugzeug jeden Moment zur Explosion bringen zu wollen, als Irene den Wagen anhielt, die Handbremse zog und den Motor abstellte. Sie öffnete den Schlag an ihrer Seite und stieg aus.
Vater im Himmel, dachte Clairon. Er sah Irenes Kopf im Fadenkreuz der 98 k. Wer ist das Weib? Wie kommt es hierher? Da haben wir es, dachte Clairon erbittert. Verfluchte Klugscheißer! Was habt ihr jetzt für einen Salat angerichtet? Wo ist überhaupt Aranda? Der ist ja gar nicht da! Oder doch, da taucht er auf,
hinter
dem Wagen. Und was hat er in den Händen? »Hier müssen wir hinein«, sagte Irene. »Tatsächlich alles wieder zugeschneit. Und wie!«
Manuel hob den großen Zirkel über den Schneewall am Straßenrand, der den Eingang zum fünften Weg der Gruppe 74 versperrte, steckte ihn in den Schnee und sprang über den Wall. Er versank sofort tief, streckte die Arme aus und half Irene. Sie sprang ungeschickt, glitt aus, und einen Moment hielt er sie fest in den Armen, damit sie nicht hinfiel. Ihre Gesichter berührten einander. Hastig machte sie sich los. Er trat einen Schritt zurück.
»Ich gehe vor, und Sie treten in meine Fußstapfen«, sagte er.
»Aber Ihre Schuhe …«
»Sind hoch genug. Ihre Stiefel haben glatte Sohlen. Ich will nicht, daß Sie noch wirklich stürzen. Seien sie vorsichtig. Und sagen Sie mir, wie ich gehen soll.«
»Zuerst geradeaus bis zu der großen Fichte da vorne, dann links.«
Was ist das für ein Ding, das Aranda da schleppt? überlegte Clairon. Der Lauf
Weitere Kostenlose Bücher