Und Jimmy ging zum Regenbogen
je …
Aber, dachte Groll, dieser Manuel Aranda liebt seinen Vater, das sieht man nun deutlich. Deshalb die Aggressionshaltung. Aggression ist ja doch nicht nur etwas Böses, Negatives, sondern auch etwas Gutes, Positives! Indem ich mich
gegen
etwas auflehne, bin ich
für
etwas. Die Ambivalenz, die ewige Ambivalenz, dachte der Hofrat und strich die Umrisse des Ginkgo-Blattes nach. Goethes Polarität …
Während Manuel Aranda in seiner gereizten Pose verharrte, hatte Valerie Steinfelds Stimme weitergesprochen: »… Jetzt trinken wir einen, sage ich, und dann rufe ich Ihnen ein … ein Taxi … Er, begeistert: Charme, Wiener Charme! … Hand küßt er mir … Hallo … hallo … hören Sie mich?«
»Ganz deutlich. Und weiter?«
»Er schaut sich den Ehrlich an … ich gehe ins Teekammerl …«
»In das Teekammerl.«
»Gläser, die großen … die Flasche … und dann eine von den Kapseln … beten … Mach, lieber Gott, daß das Gift noch gut ist …«
Die Stimme des Inspektors: »Was war denn das für eine Kapsel?«
»Aus Glas … sind alle aus Glas … zugeschmolzen … Sie hat mir ja gesagt, daß zugeschmolzene Glaskapseln das Gift sogar Jahre … viele Jahre halten, ohne daß es sich zersetzen kann … hat mir auch eine Feile gegeben … falls ich das Zeug irgendwo reinschütten muß …«
»Sie?«
Aranda sah zu dem Hofrat, der im Halbdunkel saß. »Wer ist
sie
?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Groll.
»… feile eine Spitze ab …« lallt die Frauenstimme. Gleich darauf erklangen vier kurze, hohe Pfeiftöne.
»Was ist das?« fragte Aranda.
Groll drückte wieder auf die Taste und hielt das Band an.
»Der Inspektor hatte einen Zeichengeber an das Gerät angeschaltet. Ein Kollege legte ihm einen Zettel hin. Darauf stand mit Name und Adresse der Besitzer des Anschlusses, den die Frau benützte. Die Spezialisten hatten das richtige Relais gefunden. Der Anruf kam aus der Buchhandlung Landau in der Seilergasse. Eine Funkstreife mit Polizisten und Kriminalbeamten raste sofort los. Kemals Kollege verständigte von einem anderen Apparat aus uns hier, meine Mordkommission. Der Inspektor wollte das Gespräch natürlich immer noch so lang wie möglich weiterführen, um die Frau festzuhalten.«
Die Teller kreisten wieder.
»… das Zyankali in sein Glas … rufe ihn ins Teekammerl … Er ahnungslos … völlig ahnungslos … erkennt mich nicht … Bedankt sich noch einmal!« Valerie Steinfeld lachte wieder ihr schreckliches Lachen.
»Trinkt … einen großen Schluck! Dann … dann …«
»Ja, ich verstehe. Und wer sind Sie? Von wo sprechen Sie?«
»Jetzt konnte Kemal es riskieren«, murmelte Groll.
»Ich …« krächzte die Frauenstimme, »ich …« Klick! machte es. Dann summte nur noch der Lautsprecher.
»Da hat sie den Hörer niedergelegt«, sagte der Hofrat. Er stand auf und stellte das Gerät ab. Dabei verstreute er Zigarrenasche über Hemd und Weste. »Ein paar Minuten später brachen die Polizisten der Funkstreife die Eingangstür der Buchhandlung auf.« Groll ging zu dem halb geöffneten Fenster.
Der Hofrat atmete tief die frische, eiskalte Luft ein. Ich bin hier der Verbindungsmann zur Staatspolizei, dachte er. Auch wenn ich schon mehr wüßte, als wir ahnen, dürfte ich dir nichts sagen, mein Junge, nicht das geringste. Und das, was ich schon weiß, darf ich dir erst recht nicht sagen, sie haben es mir verboten, die hohen Herren von der Staatspolizei.
Hohe und höchste Herren, dachte Groll, und hier sitzt ein kleiner Mann, er kommt von der andern Seite der Erde, keiner kennt ihn, ohne Schutz ist er, ohne Hilfe, allein. Groll dachte an die furchtbare Stärke der Starken, die gräßliche Größe der Großen, die schreckliche Hilflosigkeit der Hilflosen und daran, wie das alles zusammengehört, einander ergänzt, einander entstehen läßt. Er drehte sich um und sagte: »Die Polizisten fanden in einem kleinen Hinterzimmer der Buchhandlung, in diesem Teekammerl, wie es heißt, zwei Tote – Ihren Vater, Raphaelo Aranda, und Valerie Steinfeld. Sie muß, unmittelbar nachdem sie aufgelegt hatte, Zyankali genommen haben. Und zwar in einer Kapsel, die sie zerbiß. Als wir mit unserem Arzt eintrafen, fand er Glassplitter in ihrem Mund. Die beiden Leichen lagen ganz dicht nebeneinander auf dem Boden …« Groll streifte Asche von seiner, Virginier. »Ihre Hände«, sagte er und dachte an das Ginkgo-Blatt, »berührten einander.«
Manuel Aranda antwortete nicht.
»Es
Weitere Kostenlose Bücher