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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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das er sie brachte und das sie nicht mehr verlassen sollte; am Tag ihrer Hochzeit; am Tag, da er Soldat wurde; vor dem ukrainischen Landsitz, der das Lazarett beherbergte, in welches man ihn nach seiner Verwundung brachte; im Park des Sanatoriums, wo er sich langsam und mühevoll von einer Thorakoplastik erholte, die Jahre später, 1947, notwendig geworden war und zwar eine Lungenhälfte ausschaltete, ihm, dem schon Todgeweihten, aber ein neues, sozusagen geschenktes zweites Leben beschert hatte, das in jenem Sanatorium, in jenem Park begann … immer wieder, an den seltsamsten Orten und immer zu einschneidenden Anlässen, war Groll einem oder mehreren Ginkgo-Bäumen begegnet.
    Der Ginkgo-Baum
(Ginkgo biloba
KAEMPFER ) kann bis dreißig Meter hoch werden. In der Jugend wächst er mit schmaler, kegelförmiger Krone, im Alter wird diese unregelmäßig und der Baum nicht selten breiter als hoch. Obwohl ein Verwandter der Nadelhölzer, sieht der Ginkgo-Baum doch aus wie ein Laubbaum, und er wirft im Herbst auch sein dann wunderbar goldgelb leuchtendes Laub ab.
    In China und Japan wird der Baum, den man für den Sitz von Geistern hält, als heilig verehrt. Nach Europa gelangte der Ginkgo als erste ostasiatische Baumart um 1730. Seine dreieckigen oder fächerförmigen Blätter sind tief gelappt, der mittlere Einschnitt ist am tiefsten, er spaltet das Laub fast in zwei Hälften. Dadurch gelangte die seltsame Gewächsart zu ihrer Bezeichnung ›biloba‹, was zweilappig bedeutet.
    Der Hofrat Wolfgang Groll hatte vor vielen Jahren damit begonnen, Blätter des Ginkgo-Baumes zu sammeln – die silbriggrünen des Sommers, die honiggelben des Herbstes. Er verwahrte sie zwischen den Seiten seiner Bücher, in seiner Brieftasche, in seinem Paß, unter Glas auf seinen Schreibtischen.
    Natürlich kannte der Hofrat Goethes Gedicht ›Ginkgo biloba‹. Es war ein Liebesgedicht, aber es drückte auch aus, was Goethe immer wieder beschrieb: die Polarität des Universums, dieser Welt, allen Lebens, aller Formen des Existierenden.
    Die
Polarität,
nicht den Dualismus! Der Dualismus trennt, zersetzt. Polarität, das ist die äußerste Verschiedenartigkeit eines dennoch nicht zu Trennenden, eines
eben dadurch
nicht zu Trennenden! Ohne die beiden Pole gäbe es niemals die
Einheit.
    Immer wieder hatte Goethe über solche Polaritäten nachgesonnen: Einatmen – Ausatmen. Gesundheit – Krankheit. Unglück – Glück. Systole – Diastole. Ebbe – Flut. Tag – Nacht. Mann – Weib. Muskeln dehnen – Muskeln strecken. Erde – Himmel. Leben – Tod. Dunkel – Licht. Negativ – Positiv. Gut – Böse.
    Diese Polarität, zum Beispiel auf die Elektrizität angewandt, zeigte deutlich, woran Goethe gedacht hatte und was Groll beschäftigte – sein Leben lang: Wenn es nicht ein ›Positives‹ und ein ›Negatives‹ gab, dann gab es keine Spannung, keinen Strom. Beide mußten da sein, das Plus
und
das Minus, damit das
Ganze
da sein konnte! Oder wie, ein anderes Beispiel, war es mit dem Wunsch: ›Ich möchte immer so unendlich glücklich sein?‹ Ein unsinniges, unerfüllbares Verlangen. Man kann immer nur ganz kurze Zeit ›unendlich glücklich‹ sein, denn hätte man es länger oder immer sein können, so wäre man es nie gewesen. Erst durch das Unglück nimmt man das Glück wahr, entstehen Spannung und Gefälle, entsteht
die Ganzheit.

8
    »Selbstverständlich«, sagte der Hofrat Groll, »hat nun Revierinspektor Kemal beim vierten Anruf von Frau Steinfeld alles vermieden, was die Anruferin aus ihrer berauschten Rede-Erlösung hätte reißen und wieder in Panik stürzen können. Denn dann hätte sie wahrscheinlich den Hörer in die Gabel gelegt, wie schon dreimal zuvor. Hören Sie nun weiter, Herr Aranda. Die Männerstimme ist die des Revierinspektors.« Groll drückte auf eine Taste des Tonbandgeräts. Die Teller begannen zu kreisen, im Lautsprecher wurde es lebendig.
    »Was für eine Kapsel?«
    »Na, Zyankali natürlich … Und so was ist bei der Polizei! … Ich habe mich beherrscht am Vormittag … mit aller Kraft …«
    »Am Vormittag?«
    »Da ist er … ist er gekommen, zum erstenmal …«
    Manuel Aranda überfiel jene Benommenheit, jenes Schwindelgefühl. Er hielt sich an einer Lehne des alten, brüchigen Ledersofas fest, auf dem er saß. Unwirklich. Phantastisch. Grausig. Da erklang die Stimme einer Frau, die vor wenigen Stunden, am Nachmittag des 14. Januar, begraben worden war. Und die Stimme dieser Toten,

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