Und Jimmy ging zum Regenbogen
der 98 k war jetzt in Bewegung, er rieb sich an der Engelszehe. Clairon verfolgte das Paar aufmerksam. Nun sah er groß Irenes Rücken im Zielfernrohr, sah den grauschwarzen Seehundmantel, sah, Sekundenbruchteile lang, die eine oder die andere Schulter Arandas, einen kleinen Teil seiner Pelzmütze.
Immer noch donnerte die Boeing 707, doch ihr Lärm wurde schnell geringer. Die Krähen begannen wieder zu schreien.
Gütiger Gott, dachte Clairon, was mache ich jetzt? Diese junge Frau, wer immer das ist, verdeckt mir dauernd diesen Aranda. Natürlich könnte ich sie zuerst erledigen. Aber das darf ich nicht. Was geschieht, wenn Aranda sich dann sofort hinwirft oder hinter einen Grabstein springt? Wenn er mir entkommt? Ich kann hier kein Schützenfest veranstalten. Ich muß unbedingt zuerst
ihn
treffen!
Er
ist mein Ziel, nicht die Frau. Die Frau erledige ich natürlich gleich hinterher, wenn es mit dem Repetieren so rasch klappt und sie sich nicht auch hinwirft oder versteckt. Ich darf kein Risiko eingehen. Junge, Junge, das ist vielleicht ein Mist. Na, es hilft nichts, ich muß Geduld haben und warten. Auch nicht unbedingt opportun, daß ich abdrücke, solange kein Flugzeug uns überfliegt und den Knall des Schusses verschluckt. Jetzt ist es – Blick auf die Armbanduhr – 14 Uhr 49. Um 15 Uhr 10 startet AIR FRANCE Flug 645 nach New York via Paris. Wollen wir warten und hoffen. Was sonst kann ich tun?
»Nach links! Ich helfe Ihnen tragen!«
»Nein, es geht sehr gut …«
»Unsinn!« Mit drei großen Schritten war Irene neben Manuel, gerade als er in einen tief verwehten Weg zwischen zwei Gräberreihen nach links einbog.
Ich werde verrückt, dachte Clairon. Nun verdeckt sie ihn
wieder!
Und
wie!
Irgend etwas für das Grab muß es sein, was sie da schleppen. Ist das eine beschissene Angelegenheit!
»Bei dem schwarzen Stein halb nach rechts«, sagte Irene. »Da vorne, zwischen den beiden Trauerweiden, da ist es.«
»Noch ein schönes Stück«, sagte er.
»Sie reden ausgezeichnet deutsch. Waren Sie schon einmal in Deutschland oder in Österreich?«
»Noch nie. Aber daheim haben wir auch immer deutsch gesprochen. Ich konnte es bereits als Kleinkind.«
»Stammen Ihre Eltern aus Deutschland?«
»Nein. Meine Mutter ist seit acht Jahren tot. Beide Eltern waren geborene Argentinier. Wie ich. Es ist drüben in vielen Familien üblich, zwei Sprachen zu sprechen. Französisch oder Deutsch meistens – oder Spanisch.« Sie stapften Seite an Seite durch den Schnee.
»Einen Weg hatten sie hier freigelegt, einen schmalen Weg … und jetzt!«
»Wer war beim Begräbnis?« fragte Manuel.
»Meine Eltern … Sie kamen aus Villach. Martin Landau und seine Schwester.« Irene sah Manuel an. »Und eine fremde Frau.«
»Was heißt das – fremde Frau?«
»Keiner von uns kannte sie.«
»Seltsam.«
»Seltsam, ja. Wir sprachen noch darüber.«
»Wie sah sie aus, diese Frau?«
»Das weiß ich nicht. Sie war verschleiert.«
»Verschleiert?«
»Tief. Und sie weinte sehr. Sie kam mit einem Wagen und war schon da, als wir eintrafen. Und sie fuhr als erste wieder fort. Es war … als ob sie nicht erkannt werden wollte …«
»Eine alte Frau? Eine junge?«
»Schwer zu schätzen – mit dem schwarzen Schleier. Anfang vierzig, würde ich meinen.« Irene Waldegg blieb stehen und holte tief Atem.
Auch er hielt an. »Nur einen Moment …«
»Vielleicht sollten wir nicht sprechen.«
»Es sind bloß meine Stiefel. Sie werden so schwer … Ja«, sagte Irene, »und dann war noch ich da, natürlich, und die drei Männer von dem Begräbnisinstitut. Wir fuhren hinter dem Totenauto her, Tilly Landau mit ihrem Bruder, ich mit meinen Eltern. Die Wagen parkten alle drüben auf der Allee …«
»Also eins, zwei … acht Menschen. Und ein Pfarrer«, sagte Manuel.
»Kein Pfarrer«, sagte Irene.
Es ist zum Jungekriegen, dachte Clairon. Da drüben steht er. Und dieses Weib dicht neben ihm. Dicht
vor
ihm. Verdeckt ihn völlig.
»Wieso kein Pfarrer?« fragte Manuel erstaunt.
»Selbstmord …«
»Aber da findet man immer einen Ausweg … Gemütsverwirrung … Störung der Geistestätigkeit …«
»Ja, so versuchte ich es auch. Nichts zu wollen. Sie hat doch …« Irene schluckte. »Sie hat doch vorher Ihren … vorher einen Mord begangen.«
»Natürlich«, murmelte er beklommen.
»Nur mit Schwierigkeiten erhielt ich die Erlaubnis für ein städtisches Begräbnis auf dem Zentralfriedhof.«
Sie stapften weiter durch den
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