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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Auge, das den Inspektor lange musterte. Ich kann diese Vorsicht verstehen, dachte Schäfer. Die Tür wurde umständlich aufgesperrt und geöffnet. In ihrem Rahmen stand ein großer, breitschultriger Mann mit grauem Haar, der eine wohlriechende Zigarre rauchte.
    »Wo haben Sie es?« fragte er.
    »Unter dem Hemd«, sagte Schäfer.

26
    »Es wird ein Wein sein, und wir wer’n nimmer sein. ’s wird schöne Madeln geb’n, und wir wer’n nimmer leb’n …«
    Der Weinhauer Ernst Seelenmacher sang die Worte des alten Liedes mit gedämpfter Stimme. Er saß an einem kleinen Tischchen, auf dem eine Zither lag, und zupfte sanft die Saiten des Instruments. Seelenmacher trug einen grau-grünen Lodenanzug und ein weißes, am Hals offenes Hemd. Sein Gesicht war von Wind, Regen und Sonnenschein gegerbt, sein Haar kurz, dicht und grau. Ein großer, kräftiger Mann war Ernst Seelenmacher, sechzigjährig, kerngesund und rüstig. Mit Frau und zwei Töchtern führte er den kleinen ›Heurigen‹, das Ausschanklokal von neuem Wein, das in einem verborgenen Gäßchen Grinzings lag, abseits der großen und mondänen Heurigen.
    Das Lokal bestand aus vier Räumen, alle weiß getüncht und durch bogenförmige Durchlässe miteinander verbunden. Seelenmachers Gäste saßen an alten Tischen, auf langen Bänken. Im Sommer saßen sie draußen im Garten, unter mächtigen Kastanienbäumen.
    Der Wein wurde in ›Hebern‹ serviert. Das sind Glaskugeln, die an Eisenständern hängen und in langen Röhren enden. Drückt man mit dem Trinkglasboden gegen einen Verschluß am Ende einer solchen dünnen Röhre, dann fließt Wein aus der Kugel.
    Ernst Seelenmacher und Wolfgang Groll kannten einander seit vielen Jahren. Sie waren eng befreundet. Stundenlang unterhielten sie sich über die Erziehung und Veredelung von Weinsorten, über die vielen seltsamen Tiere in einem Weinberg. Seelenmacher sammelte mancherlei, das er in der fruchtbaren Erde des hügeligen Gutes fand – Versteinerungen, römische Münzen, Reste von Schwertern, Scherben römischer Vasen und von Gefäßen mit eingekratzten Zeichen und Zeichnungen. Die Abdrücke und Fossilien schenkte der Weinhauer seinem Freund, alles andere behielt er selber. Seine Leidenschaft war das Studium der alten Römer, ihrer Geschichte, Kultur, Religion und Literatur, ihres Rechts. Er sprach und las fließend lateinisch, und lateinisch unterhielten sich die Freunde oft miteinander. Seelenmacher war in einem Priesterseminar erzogen worden, denn als junger Mensch hatte er unbedingt Pfarrer werden wollen. Seine Eltern waren gestorben, er hatte den Besitz übernehmen müssen. Darin glichen die Freunde einander: Ihre Jugendträume waren nicht in Erfüllung gegangen, und doch hatten sie beide niemals aufgehört, zu träumen. Seelenmacher sang nur, wenn Gäste darum baten, meistens junge Verliebte. An diesem Abend, da Grinzing unter neuem Schnee versank, hatten ihn zwei alte Leute darum gebeten, ein Ehepaar. Die beiden saßen eng nebeneinander auf einer Bank, tranken, lauschten, hielten sich an den Händen und sahen den Weinhauer an.
    Über dem Platz, an dem Seelenmacher spielte, befand sich oben in der Wand ein großes, halbkreisförmiges Fenster. Es reichte bis zum Boden eines mit antiken Bauernmöbeln eingerichteten Raums im ersten Stock, der dem Weinhauer als Büro diente. Auf einem breiten, mit Leitzordnern und Rechnungen bedeckten Eichenholztisch lag neben dem Telefon eine vergilbte lateinische Ausgabe von Senecas Tragödie ›Medea‹. Das Buch war aufgeschlagen …
    »Sie haben alles verstanden, was ich Ihnen sagte?« fragte Hofrat Groll. Er stand bei einem offenen Fenster, das zum Garten hinausging.
    Vor dem Heurigen parkte der Wagen, mit welchem er und Manuel hierhergekommen waren. Zwei Kriminalbeamte saßen darin und starrten, wie ihr Chef, in das Schneetreiben dieser Nacht. Ein Stück das Gäßchen hinunter hielten ein Buick und ein Chevrolet.
    Manuel saß hinter dem schweren Tisch.
    »Ja«, sagte er. »Ich habe alles begriffen.«
    Er blickte durch das halbrunde Fenster hinab auf Seelenmacher an der Zither und das alte Ehepaar, das sich an der Hand hielt. Leise drangen Gesang und Musik zu ihm.
    Groll hatte, nachdem sie eingetroffen waren, Manuel und Seelenmacher miteinander bekanntgemacht. Seelenmacher hatte Manuel zu einem Glas Wein eingeladen, während der Hofrat im Büro telefonierte. Danach war Manuel in den ersten Stock hinaufgestiegen.
    Groll hatte gesagt: »Ich habe mit meinem Kollegen von der

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