Und Jimmy ging zum Regenbogen
›Ritz‹ bleiben.«
»Ich habe gesagt, Sie hätten Amerikaner und Russen auf Ihrer Seite, wenn wir es
geschickt anfangen
«, erinnerte ihn Groll. »Das heißt nicht, daß diese Herren Ihre Freunde sind. Sie sind ebenso Ihre Todfeinde wie die Franzosen, davon bin ich überzeugt. Es wäre ihnen am liebsten, wenn Sie
und
dieses Manuskript verschwänden. Sie wollen, daß nichts an die Öffentlichkeit dringt. Es handelt sich – glauben Sie mir, Herr Aranda, wir haben auch unsere Leute, die ein wenig achtgeben auf das, was im Land passiert – um eine sehr wichtige, sehr böse und sehr gefährliche Sache.« Er setzte sich auf den Tischrand. »Und Sie sind nun das Rotkehlchen, das in ein fremdes Revier eingedrungen ist.«
»Was bin ich?«
Der Hofrat zuckte die Achseln.
»Konrad Lorenz, der große Naturwissenschaftler und Verhaltensforscher, er ist übrigens Wiener, hat einmal eine Geschichte erzählt – ich war dabei. Passen Sie auf. Lorenz sagte: Es gibt bestimmte auslösende Mechanismen. Das hat ein Engländer – warten Sie mal, ja, Lack hieß der – sehr hübsch demonstriert. Wenn in das Revier eines Rotkehlchens, eines Männchens, ein anderes Rotkehlchenmännchen eindringt, dann attackiert der revierbeherrschende Vogel den neuen.«
»Und?«
»Augenblick! Der Forscher nahm zuerst ein ausgestopftes Rotkehlchen und setzte es hin. Es wurde angegriffen! Dann wurde dem ausgestopften Vogel der Kopf abgedreht.
Angegriffen!
Dann schnitt Lack ihm die Beine weg.
Angegriffen!
Er zupfte den Schwanz aus.
Angegriffen!
Endlich war nur noch die rote Brust da.
Angegriffen!
Zum Schluß nahm Lack eine ziegelrote Pappscheibe von der Größe einer Rotkehlchenbrust.
Und auch die wurde noch angegriffen!
Sie allein genügte schon zum Signal ›Feind! Angriff!‹« Groll glitt wieder vom Tisch, zog die Heftklammer aus dem Manuskript und begann die ersten zehn Blätter nebeneinander auf das hell beleuchtete grüne Tuch zu legen. »Sie«, sagte er dazu, »sind, ohne es zu wollen, als Rechtsnachfolger Ihres Vaters, gleich in
drei
fremde Reviere eingedrungen. Sie sind es – Sie können nichts dagegen tun. Aus diesem Grunde wird man – wir verhalten uns genauso, ach, ganz genauso wie die Rotkehlchen – mit allen Mitteln versuchen, Sie zu vertreiben, auszuschalten, gleich, wie Sie sich benehmen, gleich, welche Konzessionen Sie machen.
Sie
haben jetzt den roten Fleck auf der Brust. Und Ihre Feinde werden nicht ruhen, bevor sie diesen roten Fleck – und wenn wir ihnen einen
Ersatzfleck
dafür bieten – beseitigt haben.« Während er sprach, hatte Groll eine kleine Minox-Kamera aus der Tasche gezogen und Seite um Seite fotografiert. Nach den ersten zehn Blättern nahm er die zweiten zehn. Er fotografierte sie alle. »Das muß zu unseren Spezialisten. Und zur Staatspolizei. Ich glaube nicht, daß wir den Code entziffern können. Aber ich habe eine Idee. Ich möchte wirklich nicht, daß Ihnen etwas zustößt. Es … es täte mir sehr leid.«
Sie sahen sich an. Der Blick hielt.
»Danke«, sagte Manuel zuletzt, während Groll dachte: Wenn ich einen Jungen hätte, könnte er so alt sein wie dieser da …
Als der Hofrat alle Blätter fotografiert hatte, ging er zu der großen Schiebetür des Billardzimnmers, öffnete sie und sah in das Café hinaus. Er nickte kurz. Gleich darauf kam ein trauriger junger Mann mit dunklem Anzug und Hornbrille in den Raum. Groll schloß die Tür hinter ihm und stellte vor. Der junge traurige Mann hieß Schäfer.
»Passen Sie einmal auf, Schäfer«, sagte der Hofrat.
24
Kurze Zeit später, um 19 Uhr 43, verließen der Hofrat Wolfgang Groll und Manuel Aranda das ›Ritz‹ durch den Vordereingang. Der Hofrat trug den schwarzen Diplomatenkoffer. Rechts und links von ihm und Manuel gingen zwei große, kräftige Männer, die Hände in den Taschen, dauernd nach allen Seiten Ausschau haltend. Die vier marschierten durch das dichte Schneetreiben und den fauchenden Ostwind, der ihnen Schneekristalle ins Gesicht peitschte, zu dem großen Wagen, der vor dem Portal parkte. Sie stiegen ein. Ein Mann setzte sich hinter das Steuer, startete, umkreiste das Hotel, kam auf den Ring zurück und lenkte den Wagen in Richtung Parlament. Die Fahrbahnen waren teilweise schon sehr verweht, Schneepflüge rollten durch die Straßen, Autos rutschten auf Eis und Neuschnee. Der Verkehr war noch stark, die Wagen schlichen vorsichtig dahin. Ein Beamter saß neben dem Fahrer, Manuel neben dem Hofrat im Fond. Groll hielt den
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