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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Reinecke
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von dem Augenblicke an, da Joachim es sich zu eigen machte, in seiner ganzen Größe erkannt worden ist. Wie ein jugendlicher Held, vornehm, aber anspruchslos, erschien er auf dem Podium; kaum jedoch hatte er die ersten, gleichsam verklärten Anfangstakte des Solo gespielt, so sprang ihm infolge der tropischen Hitze, die in der Konzerthalle herrschte, die Quinte, doch rasch entschlossen nahm er dem Konzertmeister Theodor Pixis die Geige aus der Hand und spielte, als ob nichts vorgefallen wäre, den ganzen Satz auf dem fremden Instrument zu Ende. Es ist ein müßiges Beginnen, so ein vollendetes Spiel mit Worten zu beschreiben. Aber noch heute, nach sechsundfünfzig Jahren, erinnere ich mich deutlich, dass ich nach diesem Vortrag mich in die einsamsten Gänge des Hofgartens schlich, um ungestört dieses künstlerische Ereignis noch einmal in meinem Innern zu durchleben. - In demselben Jahre gab ich mit Joachim ein Konzert in Bremen, in welchem wir u. a. die Kreuzersonate von Beethoven und das reizvolle H-moll-Rondo von Franz Schubert spielten. Als wir am anderen Morgen allein im Eisenbahncoupé saßen, trieben wir allerlei musikalische Allotria, gaben uns Scharaden auf und improvisierten zweistimmige Kanons u.s.w., da sah ich plötzlich auf der Fußmatte etwas Goldiges blinken und rief: „Schau her, Joachim, da liegt ein Louisd'or!“ Er war genauso erstaunt über diesen Fund wie ich, ward aber ganz verblüfft, als wir nach und nach mehr dieser angenehmen Goldstücke fanden. Plötzlich ging ihm ein Licht auf: er hatte seinen Anteil an der Konzerteinnahme blank in die Hosentasche gesteckt, und diese hatte ein Loch. -
    Joachim, welcher bis dahin nur vorübergehend und auf kurze Zeit feste Stellungen angenommen hatte (so als Lehrer des Violinspiels am Conservatorium in Leipzig und als Konzertmeister in Weimar), nahm im Jahre 1853 die Berufung des Königs Georg V. von Hannover an, welcher ihn zu seinem Kammervirtuosen und zum Königlichen Konzertmeister ernannte. In dieser Stellung verblieb er bis zum Jahre 1866. Im Jahre 1863, kurz nachdem er sich mit der trefflichen Sängerin Amalie Weiß vermählt hatte, lud er mich ein, in einem der von ihm geleiteten Abonnementskonzerte meine Ouvertüre zu Calderons „Dame Kobold“ zu dirigieren und bei dieser Gelegenheit in seinem neuen Heim sein Gast zu sein. Es ist mir eine liebe Erinnerung, so selbst von dem jungen Glück dieses herrlichen Künstlerpaares Zeuge gewesen zu sein.
    Ein eigentümlicher Zufall ist es, dass die Zahl „3“ eine gewisse Rolle in meinen markantesten Begegnungen mit Joachim spielt: Unser erstes Begegnen war im Jahre 1843, zehn Jahre später gab ich mit ihm das Konzert in Bremen, abermals nach zehn Jahren trat ich, wie eben erzählt, in seinem Konzert als Komponist und Dirigent auf, und im Jahre 1873 spielten wie miteinander die H-moll-Sonate von Joh. Seb. Bach in einem Konzerte in Leipzig, welches von den Freunden und Verehrern des Liederkomponisten Robert Franz veranstaltet worden war, um dem durch Ohren- und Handleiden schwergeprüften Künstler eine Ehrengabe überreichen zu können. Im Jahre 1883 hatte ich zum ersten Mal die Freude, Joachim als Quartettspieler mit seinen trefflichen Genossen de Ahna, Wirth und Hausmann begrüßen zu können. Diese Quartettsoirée fand am 23. April im Saale des Gewandhauses vor einem erwartungsvoll gespannten Hörerkreise statt. Zwar hatte ich meinen Freund gar manches Mal schon als Quartettspieler bewundert, aber niemals als Haupt des von ihm in Berlin gebildeten Quartetts, einer Korona von Künstlern ersten Ranges, die sich nun bereits seit Jahren so ineinander eingelebt hatten, dass nirgends eine Schwäche, nirgends ein Hervordrängen des einzelnen zu entdecken war, und dass selbst die improvisierte Nuance, die sich irgendeiner gestattete, sofort von den übrigen erfasst wurde, als wäre sie in den Proben vorbereitet worden. Es war mir nach einigen Bemühungen glücklich gelungen, diese illustre Vereinigung zu einem Besuche Leipzigs zu veranlassen, und ich hatte die Freude, dass das Leipziger Publikum den vollendeten Leistungen volles Verständnis entgegenbrachte. Man begegnet manchem großen Virtuosen, der scheitert, wenn er Meisterwerke der Kammermusik zur Darstellung bringen soll, weil ihm das Verständnis für diese edelste aller Kunstgattungen abgeht, aber Joachim, der in allen Sätteln gerechte Musiker von sicherstem Stilgefühl und feinstem Empfinden, wusste mit seinen Kunstgenossen ebenso hinreißend ein

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