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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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werden verschwinden wie Generationen von Ameisen und alles hat von vorn zu beginnen. Die Welt ist ein Gut, das armselig pädagogisch ist, mon Capitaine, es weiß allein die nämlichen Dinge ins Unendliche zu wiederholen und wir sind widerspenstige Schüler, solange die Lektion sich nicht tief in unser Fleisch gebrannt hat, wir hören nicht zu, wir schauen weg und wir empören uns aufs Äußerste, sobald man uns an die Ordnung erinnert. Wenn das Leben aus Ihnen keinen Soldaten gemacht hätte, mon Capitaine, wenn Sie sich nicht in der ersten Reihe des Klassenzimmers hätten einrichten müssen, dann hätten auch Sie, auch Sie hätten sich dann empört, Sie hätten möglicherweise Protestaufrufe an Ihre Freunde von
L’Humanité
geschickt, Sie hätten über die unverjährbaren Rechte des menschlichen Wesens räsoniert, über seine Würde, und Sie hätten mit Entzücken Ihre sauberen und weißen Hände betrachtet, ohne je zu argwöhnen, dass das Herz eines Henkers in Ihrer Brust schlägt. Aber das Leben hat Ihnen nicht erlaubt, eine solche Behaglichkeit zu genießen. Sie wissen sehr genau, was es auf sich hat mit der menschlichen Würde, Sie wissen sehr genau, wes Wert die Menschen sind, Sie und mich inbegriffen. Als wir im vietnamesischen Lager, nach Điên Biên Phu, angekommen sind, da waren Sie es, ich erinnere es sehr genau, der es mich als Erster gelehrt hat, wie Sie mich so viele Dinge gelehrt haben. Wir saßen, erschöpft und ausgehungert, mit einer Gruppe Gefangener auf dem Boden und Sie haben zu mir gesagt Ich weiß, was ein Lager bedeutet, Horace, in nur wenigen Tagen können wir auf den Großteil unserer Kameraden nicht mehr zählen, Sie werden den Menschen hervorbrechen sehen und man muss Ihnen beibringen, sich davor zu schützen, den Menschen, den nackten Menschen, das sind Ihre eigenen Worte, ich erinnere es sehr genau, und Sie hatten recht. Sollten Sie es vergessen haben? Sollten Sie schließlich zu der Überzeugung gelangt sein, dass Sie etwas Höherstehendes sind als die menschliche Gattung? Die Menschen sind nicht besonders viel wert, mon Capitaine. In allgemeiner Hinsicht sind sie gar nichts wert. Es ist unmöglich, sie hinsichtlich der Funktion ihres Wertes zu unterscheiden. Parteilichkeit ist die einzige Bezugsgröße. Es handelt sich um nichts anderes, als die Seinen anzuerkennen und ihnen gegenüber loyal zu sein. Aber dazu sind Sie nicht fähig, Sie bedürfen der Beurteilung, Ihre maßlose Liebe, zu urteilen, führt ja sogar dazu, dass Sie, als reichte Ihre Eigenverurteilung nicht aus, keine Sekunde lang zögerten, sich und mit Ihnen uns alle bloßzustellen, um die Wertschätzung eines Mannes wie Tahar zu gewinnen, und dann sogar noch dazu, dass Sie noch heute bereit sind, sich vom erstbesten Dahergelaufenen die Absolution zu erbetteln, wie ein Junge, der sich schämt, das Dienstmädchen begrabscht zu haben. Merkwürdiger Hochmut, mon Capitaine, den Sie da vor sich hertragen. Aber ich frage es Sie – wer vermag ein Urteil über uns zu sprechen? Der Gott, von dem Sie glauben, dass er diese Welt erschaffen habe? Das Volk, in dessen Namen wir unser ganzes Leben lang uns schlugen und das uns seine Dankbarkeit darin erweist, uns in die stinkenden Niederungen seines schlechten Gewissens zu verbannen? Die haben mich zum Tode verurteilt, mon Capitaine, die haben mich begnadigt und amnestiert und die hatten das Recht, mich entweder zu töten oder aber mir Milde zuzusprechen, das ist völlig bedeutungslos, nicht aber dasjenige, mich zu verurteilen oder zu amnestieren, die haben nicht das geringste Recht, ein Urteil über uns zu fällen, mon Capitaine, wir befinden uns jenseits ihres Verständnisses, ihre Rügen oder ihre Belobigungen sind nichts. Wie sehr hätte ich es geschätzt, wenn Sie dies schließlich begriffen hätten. Wir haben die Lehrstunde der Welt erhalten, wir haben ihrer Lektion zugehört, hart und endgültig, und wir waren, Sie wie ich, Instrumente ihrer mitleidslosen Pädagogik. Ja, Sie auch, mon Capitaine. Jedes Mal, wenn Sie ihre Nacktheit ans Licht gebracht haben, jedes Mal, wenn die Klinge und das Fleisch ihre Körper penetriert haben, jedes Mal, wenn Sie verhinderten, dass sich ihre Augenlider schlossen und Sie sie mit Gewalt bei Bewusstsein hielten, mit jedem verweigerten Lufthauch, mit jeder Verbrennung haben auch Sie das pädagogische Werk gegenüber all jenen vollbracht, die durch Ihre Hände gegangen sind. Aber niemals haben Sie an ihrem Ende teilgenommen und Sie können gar

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