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Und Nachts die Angst

Und Nachts die Angst

Titel: Und Nachts die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Norton
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Reeve ihr in der vorderen rechten Ecke gestaltet hat.
    Verstohlen kriecht Persie aus einem dunklen Winkel, schießt plötzlich hervor und packt die Grille.
    Reeve sieht Persie eine Weile zu, bis sie feststellt, dass auch sie Hunger hat. Sie isst normalerweise im Restaurant, aber heute ist so viel Betrieb gewesen, dass ihr keine Zeit dafür geblieben ist. Sie geht in die Küche und macht sich eine heiße Schokolade. Vollmilch. Europäische Schokolade. Das gute Zeug.
    Angenehm müde sinkt sie aufs Sofa und lässt ihre Gedanken wandern. Was sie unweigerlich zum Thema Sex bringt.
    Sex ist ihr ein Rätsel. Über die reine Mechanik weiß sie mehr als genug, begreift aber seine Intimität nicht. Vergewaltigt zu werden hat nichts damit zu tun, miteinander zu schlafen. Eindeutig nicht. Nur hat sie keine Erfahrung mit Letzterem, mit Ersterem jedoch umso mehr. Wiederholt und brutal. Einfallsreich nur in der Art der Grausamkeit.
    Sie versucht, nicht zu viel daran zu denken. Aber niemand will ohne Sex leben, egal, was für eine Last man mit sich herumschleppt.
    Sie hat ausreichend experimentiert, um zu wissen, dass sie orgasmusfähig ist. Aber wenn sie sich vorzustellen versucht, sich jemandem sexuell zu nähern, wenn sie ein körperliches Verlangen nach einem bestimmten Menschen heraufzubeschwören versucht, kann sie nur schaudern. Was wahrscheinlich einfach ein weiterer Faktor ist, der sie zu einem Freak macht. Auf jeden Fall aber der Grund für die Hausaufgabe, die Dr. Lerner ihr aufgegeben hat.
    Sexuelle Nähe würde sie unweigerlich vor zwei große Probleme stellen – Nacktheit und verschlossene Türen. Ihre beiden größten Ängste.
    Sie weiß, dass sie als zweiundzwanzigjährige Amerikanerin eine Abnormität darstellt. Denn während die Medien genüsslich über das ausschweifende Verhalten ihrer Generation berichten, hat Reeve erst mit drei Personen sexuellen Kontakt gehabt, und nur mit zwei davon in gegenseitigem Einvernehmen.
    Keine von diesen beiden Erfahrungen war besonders befriedigend. Das erste Mal handelte sich um ein kurzes Experiment mit einem Jungen aus ihrem Fahrschulkurs. Sie war achtzehn, er siebzehn, und sie war sich bewusst, dass dieser winzige Zahlenunterschied sie in eine dominante Rolle versetzte. Was immer das moralisch bedeutete – für ihn war es jedenfalls ungeheuer stimulierend. Beim ersten Mal war der vorzeitige Samenerguss ein Problem. Als sie beim dritten Mal angekommen waren, war der Kurs vorbei, und Reeve hatte das Interesse verloren.
    Die zweite Beziehung, wenn man sie denn so bezeichnen konnte, war die zu einer schlanken jungen Frau namens Tasha, die sie auf einer Silvesterparty kennenlernte. Reeve hatte sich nie als lesbisch gesehen, aber sie und Tasha überraschten einander mit einem Kuss um Mitternacht, der zu einer kurzen, hitzigen Begegnung führte. Tashas Zärtlichkeit hatte Reeve erstaunt; noch nie war sie auf eine solche Art berührt worden.
    Aber in beiden Fällen hatte Reeve dafür gesorgt, dass sie sich nicht nackt in einem verschlossenen Raum befand. Das Techtelmechtel mit dem Teenie fand auf dem Rücksitz seines Wagens statt, wo sie nur das Nötigste ausziehen musste. Und sie und Tasha waren fast vollständig bekleidet in einem Treppenhaus übereinander hergefallen.
    Reeve sitzt auf dem Sofa, trinkt ihre Schokolade aus, ruft sich Einzelheiten in Erinnerung und denkt über Anziehungskraft und Widerwillen nach. Lust und Angst kämpfen unter ihrer Schädeldecke wie die sich abstoßenden Enden eines Magneten.
    Vielleicht kann sie Intimität einfach nicht wie normale Leute erleben. Die Narben auf ihrer Haut kann sie jedenfalls nicht wegzaubern. Aber sie sollte in der Lage sein, ihre Angst unter Kontrolle zu bringen. Denn Angst ist lähmend, sinnlos, eine dumme Verschwendung von Emotionen.
    Ihr Magen grollt leise, um ihr mitzuteilen, dass sie noch immer Hunger hat.
    In der Küche ist nicht viel zu finden, aber sie entdeckt schließlich noch einen gefrorenen Burrito. Sie schaltet den Ofen an, den sie der Mikrowelle vorzieht, holt eine flache Auflaufform aus dem Schrank und schiebt den Burrito in die Backröhre.
    »Man muss ja nicht jeden Tag Sushi essen«, murmelt sie, aber ihre Stimme klingt freudlos und nicht überzeugend in der leeren Wohnung.
    Sie nimmt die Fernbedienung, knipst den Fernseher an und geht gerade in Richtung Küche, als ein Nachrichtensprecher sagt: »… und nun mehr über die Befreiung eines Mädchens aus Jefferson County, das vergangenes Jahr entführt wurde und

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