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Und Nachts die Angst

Und Nachts die Angst

Titel: Und Nachts die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Norton
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dreizehn Monate lang in einem Keller gefangen gehalten wurde.«
    Reeves Muskeln erschlaffen. Sie wendet sich zum Bildschirm um und sinkt zu Boden. Die eiskalte Gewissheit, dass dies der Grund ist, warum Dr. Lerner alle Termine für die nächste Woche abgesagt hat, trifft sie wie ein Schlag.
    Die Nachrichtensendung zeigt ein Polizeifoto von dem Mann, der verhaftet worden ist, einen Mitschnitt aus der Pressekonferenz des Sheriffs von Jefferson County, danach Fotos eines hübschen Mädchens namens Tilly Cavanaugh und Filmaufnahmen des düsteren Kellers, in dem man sie gefunden hat.
    Jede Einzelheit ist wie ein Messerstich.
    Die Nachrichten werden für die Werbung unterbrochen, und Reeve schaltet den Fernseher ab, aber die Bilder ziehen weiterhin durch ihren Kopf. Dunkle Wände, verschlossene Türen, Handschellen. Dicke, lilafarbene Schwellungen. Plumpe Hände mit scharfen Gegenständen. Polizei. Grelle Krankenhausräume und trostlose Gerichtssäle.
    Sie weiß, was kommt: die geifernden Reporter mit ihren endlosen Fragen, die Psychofritzen, die alte Fälle wiederkäuen. Nun werden alle nach Ähnlichkeiten suchen, Parallelen sehen, und man wird sie im Zusammenhang mit dem neuen Opfer bewerten und diskutieren.
    Etwas Öliges wälzt sich in ihrem Magen herum.
    Sie werden Bilder von »Edgy Reggie« zeigen, die ihre Faust gegen das Kameraobjektiv schmettert. Sie werden zeigen, wie Daryl Wayne Flint, der berühmte Entführer, im Gerichtssaal ausrastet. Akkurat frisierte Nachrichtenleute in gut ausgeleuchteten Studios werden sich erneut über ihren Prozess hermachen, genüsslich Einzelheiten ihrer Misshandlungen ausbreiten und über die psychologischen Auswirkungen von jahrelanger Dunkelheit, Langeweile und nicht enden wollendem Schrecken plaudern.
    Reeve beginnt zu hyperventilieren. Das ist nicht gesund. Sie muss etwas tun.
    Sie blickt aus dem Fenster und sieht, dass es regnet.
    Egal. Sie muss laufen.
    Sie zieht sich rasch ihre Laufsachen an, streift eine wasserabweisende Jacke über und versucht, sich die Sneakers zuzubinden, als ihr der Schweiß ausbricht. Etwas Saures steigt ihr in die Kehle. Ruckartig richtet sie sich auf, stürzt ins Bad und schafft es gerade noch zur Kloschüssel, als sie auch schon erbricht. Einmal, zweimal, dreimal, dann ist nichts mehr im Magen. Bebend versucht sie, zur Ruhe zu kommen, aber das Würgen setzt erneut ein, und sie kann einfach nicht aufhören. Wieder und wieder hebt sich ihr Magen, bis sie vollkommen erschöpft zu Boden sinkt.
    Ihr Inneres ist wund, die Muskeln schwach. Langsam setzt sie sich auf, ringt um Atem und kämpft gegen den übriggebliebenen Schwindel an. Sie greift nach einem Papiertuch und wischt sich den Mund, als ein plötzliches Geräusch sie heftig zusammenfahren lässt: Der verbrannte Burrito im Ofen hat den Rauchmelder ausgelöst.

7. Kapitel
    San Francisco
    Mittwoch vor Thanksgiving
    N ebelhörner. Eines grell, das andere weicher, weiter entfernt. Reeve steigt aus dem Bett, doch die Erschöpfung haftet an ihr wie Schweiß. Sie fühlt sich, als würde sie die schlaflosen Stunden der Nacht hinter sich herschleifen, als sie zum Fenster tritt und die Jalousien hochzieht. Der Nebel draußen ist so dicht, dass sogar das Ferry Building von weißer Watte geschluckt worden ist.
    Ein Alptraumbild blitzt auf und jagt ihr eisige Kälte über den Rücken. Sie schaudert, zwingt Daryl Wayne Flint aus ihren Gedanken und schlüpft in einen Morgenrock, den sie fest um sich zieht.
    Sie tappt in die Küche, um sich eine heiße Schokolade zu machen. Während sie barfuß vor dem Herd steht und darauf wartet, dass die Milch heiß wird, überlegt sie, was sie zur Arbeit anziehen soll, doch dann wandern ihre Gedanken zum morgigen Feiertag, zur drohenden Schlemm- und Familienattacke. Sie fürchtet sich vor dem unvermeidlichen Ablauf. Alle werden aufgesetzt fröhlich agieren, die Erwähnung der Nachrichten meiden, argwöhnisch auf ihre Stimmung achten.
    Ihr Handy klingelt. Ihr Vater. Sie ignoriert den Anruf, lässt ihn auf die Mailbox gehen und stellt fest, dass Dr. Lerner ebenfalls angerufen hat. Gestern Abend. Zwei Mal.
    Ihr Finger schwebt zögernd über der Tastatur, während sie mit dem nagenden Pflichtgefühl ringt. Dann fasst sie einen Entschluss und legt das Telefon zur Seite; sie wird erst dann anrufen, wenn sie wirklich und wahrhaftig innerlich ruhig ist.
    Es ist schlimm genug, dass Daryl Wayne Flint wieder Herrschaft über ihre Gedanken hat. Wie ein Geist ist er stets direkt hinter ihr,

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