Und Nachts die Angst
Maschinerie unter Druck setzen. Tilly wird mehr sagen, wenn sie sich wieder sicherer fühlt. Im Augenblick muss sie nur spüren, dass Sie ihr bedingungslose Liebe entgegenbringen und sie bei allem unterstützen.«
»Wir haben uns diese Website angesehen – vom Zentrum für vermisste Kinder – und ein paar gute Tipps bekommen.«
»Sehr gut. Das freut mich.«
Dr. Lerner bemerkt, dass Gordon Cavanaugh sich aufrichtet und die Schultern zurücknimmt. Als hätten sie es abgesprochen, heben beide gleichzeitig die Kaffeetasse und trinken – Bild und Abbild, zwei Männer von gleicher Statur, die sich über den Tisch hinweg ansehen.
»Da ist noch was.« Cavanaugh setzt seine Tasse ab.
»Ja bitte?«
»Ich hatte ja eben schon gesagt, dass meine Frau Bedenken hat.«
»Ja?«
»Sie glaubt, dass Tilly mit Ihnen ein Problem haben könnte.«
Dr. Lerner nickt nachdenklich. »Weil ich ein Mann bin und Tilly von einem Mann missbraucht worden ist.«
»Genau.«
»Ich verstehe. Das ist eine legitime Sorge, und ich bin froh, dass Sie sich in Ihre Tochter einfühlen. Aber meiner Erfahrung nach dauert es nicht lange, diese Hürde zu überwinden. Und natürlich ist es auch ungemein wichtig, dass Sie und Ihr Sohn an dem Heilungsprozess teilhaben, damit Tilly sich wieder sicher fühlen darf und sich bewusstmacht, dass es Männer in ihrem Leben gibt, denen sie voll vertrauen kann.«
»Ja, aber es gibt noch etwas …«
»Ja? Was?«
»Meine Frau …« Gordon Cavanaugh rutscht voller Unbehagen auf seinem Platz herum.
Dr. Lerner sagt nichts, sondern sieht ihn nur an.
Cavanaugh räuspert sich und setzt erneut an. »Meine Frau möchte eine Rückversicherung.«
»Welche Art von Rückversicherung?«
»Na ja, sehen Sie …« Wieder verlagert er sein Gewicht. »Ich … ich will keinesfalls Ihre Kompetenz in Frage stellen, Doktor. Ich meine, Sie sind ein Experte, und Staatsanwaltschaft und Sheriffbüro haben sich über Sie erkundigt, und was ich gehört habe, ist mir mehr als genug. Aber meine Frau ist, na ja, überbesorgt.«
»Und das ist auch gut so.« Dr. Lerner wartet einen Augenblick, dann hakt er nach: »Welche Art von Rückversicherung könnte Mrs. Cavanaugh denn das Gefühl geben, dass keine Gefahr besteht?«
»Nun, es ist so, dass sie … dass sie mit einem der anderen Mädchen sprechen will, denen Sie geholfen haben.«
6. Kapitel
San Francisco
D r. Lerners Anruf entgeht Reeve, weil sie gerade Persephone füttert. Sie lässt eine lebende Grille ins Terrarium fallen und geht daneben in die Hocke, um zuzusehen. »Guten Appetit, Kleine.«
Der Bursche im Tierladen hat Persephones gläserne Behausung »Persies Zuflucht« genannt. Sand, Steine und kaktusartige Pflanzen sollen die mexikanische Landschaft nachahmen, in der sie zu Hause ist.
Reeve hat wochenlang überlegt, ob es moralisch in Ordnung ist, Persephone zu halten. Dr. Lerner hat ihr immer wieder ein Haustier nahegelegt, aber sie fand es unverantwortlich, in ihrer kleinen Wohnung eine Katze oder einen Hund zu halten. Ein Nager oder ein Reptil kam nicht in Frage. Und einen Vogel in einen Käfig zu sperren ist in ihren Augen nicht nur grausam, sondern kriminell.
Eine Spinne hat sie jedoch schon einmal gehabt. Nichts Besonderes, aber sie war damals ihre einzige Gesellschaft. Und Anthony, der junge tätowierte Typ, dem das Tiergeschäft gehört, hat ihr mehrmals versichert, dass Persie in Gefangenschaft geboren wurde.
»Man hat sie nicht eingesperrt«, sagte er. »Sie wird verwöhnt und verhätschelt. Sie wird gefüttert und beschützt, und sie wohnt in der einzigen Umgebung, die sie je kennengelernt hat.«
Sobald Reeve sich entschlossen hatte, die mexikanische Rotknie-Vogelspinne zu kaufen, quetschte sie den Händler aus, um alles über Futter und Pflege zu erfahren. Anthony beteuerte, dass Rotknie-Vogelspinnen Einzelgänger seien. »Glaub mir, sie fühlt sich nicht einsam«, sagte er, zupfte an seinem Ohrring und lächelte. »Schau doch. Sie mag Ecken und Winkel, wo sie sich verstecken kann. Ist sie nicht hübsch? Und sie braucht echt nicht viel Platz.«
Trotzdem hatte Reeve darauf bestanden, das größte Terrarium zu kaufen, das es im Laden gab. Nun hat Persie einen warmen, gründlich durchdachten Lebensraum, der auf einem niedrigen Schränkchen Platz gefunden hat, und er scheint ihr zu gefallen. Sie ist ein hübsches, eigenbrötlerisches Wesen und sehr wählerisch in Bezug auf ihre Rückzugsorte. Meistens hockt sie unter einem kleinen, flachen Felsvorsprung, den
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