Und nie sollst du vergessen sein
der Grillen unterbrochen wurde. In weiter Ferne vernahm sie das sanfte Rauschen der Bäume und die ausgelassenen und fröhlichen Stimmen der an der Rosendorfhalle feiernden Menschen.
War da jemand? Ein Schatten? Sie konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. Es gab keine StraÃenlaternen an dieser Weggabelung und das diffuse Mondlicht war zu kraftlos, als dass es den Weg beleuchten könnte. Wie ein seidiger Schleier hatten sich die Wolken vor den Mond geschoben und ihn sanft eingehüllt.
âSchatz, bist duâs?â, fragte sie mit leicht zittriger Stimme in die stille, dunkle Nacht. Doch niemand antwortete ihr.
Hatten ihre Augen sie also nur getäuscht? Oder war es gar das eine Glas Rosenschnaps zu viel gewesen, das ihre Sinne beeinträchtigte und ihre Wahrnehmung trübte?
Panik machte sich in ihr breit. Wo bleibt er nur, fragte sie sich, als sie plötzlich jemanden hinter sich atmen hörte.
eins
15 JAHRE SPÃTERÂ Â Â Â Â Â Â Â Â Â FREITAG, 16. NOVEMBER 2012
Es war ihr erster längerer Urlaub seit ihrer Beförderung zur Kriminalkommissarin vor dreieinhalb Jahren. Endlich Ferien, Entspannung und ganz viel Ruhe, dachte Emma Hansen, als sie zum Hit âSingle Ladiesâ von Beyoncé fröhlich mitsingend an einem grauen Novemberfreitag über die BundesstraÃe B 500 von Titisee-Neustadt kommend weiter Richtung Süden durch die Höhen des Südschwarzwaldes fuhr.
Vorbei an einzelnen Gehöften, Wiesen und Feldern, die abgemäht und kahl dalagen und von einem guten Sommer mit viel Heu für die Kühe erzählten. Kleine Waldstücke grüÃten entlang der kurvigen StraÃe, auf der um diese Uhrzeit viel Verkehr herrschte.
Familienväter, die zu ihren Liebsten nach Hause unterwegs waren, Laster und Transporter, die noch schnell vor dem Wochenende ihre Ladung abliefern wollten, und Urlauber aus den verschiedensten Regionen Deutschlands waren genauso darunter wie Schweizer und Niederländer. Einige mit Wohnwagen, andere mit Fahrradträgern und selbst ein kleines Boot konnte sie auf einem Anhänger entdecken.
Die machen hier sogar zu dieser trostlosen Zeit Ferien, stellte Emma etwas überrascht fest, als ihr gerade ein Fahrzeug mit einem gelb leuchtenden Kennzeichen entgegen kam. Eine Zeit, die eher zu innerer Einkehr und Besinnlichkeit denn zu Spaà und Abenteuerlust einlud.
Emma faszinierte die Trostlosigkeit grauer Novembertage, auch wenn sie früher mit ihren Eltern stets in den Sommerferien für zwei Wochen nach Nöggenschwiel gefahren war und daher die besondere Schwere, die jetzt oberhalb der Baumwipfel vorherrschte, nur von Erzählungen kannte. Es war eine Schwere an einem Ort der Abgeschiedenheit, an dem sich an lauen Sommerabenden junge Paare bei einem Picknick auf den angrenzenden Wiesen verliebt in die Augen schauten oder die Dorfältesten im Rosenpavillon am Nöggenschwieler Rathaus engagiert und wortreich über die Politik der Bundesregierung diskutierten und dabei wie immer und völlig übereinstimmend feststellten, dass früher irgendwie alles besser gewesen war.
Emma erinnerte sich auch an die Grillabende des örtlichen FuÃballvereins, die Vereinsmeisterschaften des Tennisclubs und vor allem an das alljährlich stattfindende Rosenfest, das sie als junges Mädchen und selbst noch als pubertierender Teenager so geliebt hatte.
An Novembertagen wie diesem jedoch zog sich die Welt in ihre tiefste Traurigkeit zurück. Eine Zeit, in der man am liebsten dieser Atmosphäre entfloh, anstatt in sie hineinzutauchen. Emma aber brauchte es, einfach mal in die bewusst gewollte Einsamkeit zu entfliehen. Ihr Job war stressig genug, bot kaum Auszeiten und Erholungsphasen, weshalb sie auch schon das für sie so wichtige Formationstanzen auf ein Minimum reduzieren musste. Daher freute sie sich jetzt auf eine Woche geplanten Nichtstuns, die mit dem 60. Geburtstag ihres ehemaligen Ferienvermieters Georg Villinger ihren krönenden Abschluss finden sollte.
Sechs Mal war sie mit ihren Eltern Knut und Marit Hansen in die Ferienwohnung der Villingers nach Nöggenschwiel gefahren. Zuletzt, als sie 17 Jahre alt gewesen war, und das lag nun schon 15 Jahre zurück.
Damals war die kleine Welt noch in Ordnung, dachte sie, während sie am Radioregler ihres Minis rumspielte, um einen besseren Empfang zu bekommen. Ihre Eltern hatten sich, wie so viele andere Eltern ihrer Freunde und
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