Und Nietzsche lachte
Frankl.
Ein sieghaftes »Ja!«
Falls Sie Viktor Frankl nicht kennen, lassen Sie mich ihn kurz vorstellen. Er war nicht im engeren Sinne Philosoph, sondern Arzt. Seine Fachgebiete waren die Neurologie und die Psychiatrie. Und auf diesem Wege kam er zur Psychotherapie, in der er eine neue und einflussreiche Richtung einführte: die Logotherapie. Geboren wurde Frankl am 26. März 1905 als Sohn einer jüdischen Beamtenfamilie. Von Jugend auf galt sein Interesse der Psychologie, wobei ihn besonders Themen wie Depression und Suizid beschäftigten. Er legte eine medizinische Bilderbuchkarriere hin, die es ihm erlaubte, trotz erheblicher Einschränkungen wegen seiner jüdischen Herkunft bis 1942 als Arzt tätig zu sein. Doch dann schlugen die Nazis zu. Über die dunkelsten Jahre seines Lebens informiert die Online-Enzyklopädie Wikipedia wie folgt: »Als Juden wurden er, seine Frau und seine Eltern am 25. September 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Sein Vater starb dort 1943, seine Mutter wurde in der Gaskammer von Auschwitz ermordet, seine Frau starb im KZ Bergen-Belsen . Frankl wurde am 19. Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz gebracht und einige Tage später in das KZ-Kommando Kaufering VI ( Türkheim ), ein Außenlager des KZ Dachau, transportiert. Am 27. April 1945 wurde er in Türkheim von der US-Armee befreit.«
Seine Erfahrungen und Deutungen des Lebens im Konzentrationslager hat Frankl später in dem Buch … trotzdem Ja zum Leben sagen niedergeschrieben. Und in ebendiesem Buch stellte er auf eindrückliche Weise dar, wie es allein das Wissen um den Sinn des Lebens war, das ihn das Grauen überleben ließ. In einem Abschnitt, der überschrieben ist mit »Nach dem Sinn des Lebens fragen«, schreibt Frankl: »Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.« Das ist ein Zitat von Nietzsche, das Frankl seinen Gedanken voranstellt. Dann fährt er fort: »Man musste also den Lagerinsassen, sofern sich hie und da einmal die Gelegenheit hierzu bot, das ›Warum‹ ihres Lebens, ihr Lebensziel bewusst machen, um so zu erreichen, dass sie auch dem furchtbaren ›Wie‹ des gegenwärtigen Daseins, den Schrecken des Lagerlebens, innerlich gewachsen waren und standhalten konnten. Umgekehrt: wehe dem, der kein Lebensziel mehr vor sich sah, der keinen Lebensinhalt mehr hatte, in seinem Leben keinen Zweck erblickte, dem der Sinn seines Daseins entschwand – und damit jedweder Sinn eines Durchhaltens.« Und an anderer Stelle resümiert er: »Es war allein der Wille zum Sinn, was sie [die Lagerüberlebenden] letzten Endes am Leben gehalten hatte.« Worin sich für Frankl ein Wort Albert Einsteins bewahrheitete, der einst sagte: »Wer sein eigenes Leben als sinnlos empfindet, der ist nicht nur unglücklich, sondern auch kaum lebensfähig.«
Aber was ist das für ein Sinn, von dem Frankl hier spricht? Was ist das für ein Sinn, den zu wollen seiner Erfahrung nach die kostbarste Energieressource ist, die den Menschen im Konzentrationslager das Überleben ermöglichte? Nun, die Antwort, die Frankl auf diese Frage anbietet, ist ganz einfach – erschütternd einfach. Sie leuchtet auf in einer bewegenden Szene aus seiner Zeit in Dachau:
»Du stehst im Graben bei der Arbeit; grau ist die Morgendämmerung um dich, grau ist der Himmel über dir, grau ist der Schnee im fahlen Dämmerlicht, grau sind die Lumpen, in die deine Kameraden gehüllt sind, grau sind ihre Gesichter. Wieder hebst du an mit deiner Zwiesprache mit dem geliebten Wesen, oder, zum tausendsten Mal, beginnst du dein Klagen und dein Fragen zum Himmel zu schicken. Zum tausendsten Mal ringst du um den Sinn deines Leidens, deines Opfers – um den Sinn deines langsamen Sterbens. In einem letzten Aufbäumen gegen die Trostlosigkeit eines Todes, der vor dir ist, fühlst du deinen Geist das Grau, das dich umgibt, durchstoßen, und in diesem letzten Aufbäumen fühlst du, wie dein Geist über diese ganze trostlose und sinnlose Welt hinausdringt und auf deine letzten Fragen um einen letzten Sinn zuletzt von irgendwoher dir ein sieghaftes ›Ja!‹ entgegenjubelt. Und in diesem Augenblick – leuchtet ein Licht auf in einem fernen Fenster eines Bauerngehöfts, das wie eine Kulisse am Horizont steht, inmitten des trostlosen Grau eines dämmernden bayrischen Morgens.«
»… von irgendwoher dir ein sieghaftes ›Ja!‹ entgegenjubelt« – was für ein Satz! Erlebt und aufgezeichnet von einem KZ-Häftling. Inmitten der grausten und gräulichsten Situation,
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