Und Nietzsche lachte
noch hatte er es durch irgendeine Kunstfertigkeit und Methode erzeugt. Nein, ganz im Gegenteil: Es war plötzlich da, stand plötzlich vor ihm, enthüllte sich seinem Sinn im dämmernden bayrischen Morgen.
Das ist bemerkenswert, denn es steht in scharfem Kontrast zu fast allem, was Sie in der zeitgenössischen Philosophie zum Thema »Sinn« finden. Unisono wird man Ihnen dort versichern – meist unter Berufung auf Friedrich Nietzsche –, Sinn könne keineswegs ge funden werden. Denn unweigerlich werde er von uns Menschen er funden. Und es sei nicht mehr und nicht weniger als eine Selbsttäuschung, wenn wir uns einredeten, so etwas wie Sinn könne uns »von irgendwoher« dann auch noch »entgegenjubeln«. Dieses Woher sei vielmehr unsere eigene Kreativität, die uns hinterrücks einen objektiv vorhandenen Sinn vorgaukele, wo doch in Wahrheit nichts anderes erscheine als ein subjektives Sinnkonstrukt unseres Geistes.
Nein, Frankl sieht das ganz anders. Er schreibt: » Sinn muss gefunden, kann aber nicht erzeugt werden. Was sich erzeugen lässt, ist entweder subjektiver Sinn, ein bloßes Sinngefühl, oder – Unsinn. Und so ist es denn auch verständlich, dass der Mensch, der nicht mehr imstande ist, in seinem Leben Sinn zu finden, ebensowenig aber auch ihn zu erfinden, auf der Flucht vor dem Sinnlosigkeitsgefühl entweder Unsinn oder subjektiven Sinn erzeugt.« Und im gleichen Zusammenhang sagt er noch einmal deutlich: »Sinn kann nicht gegeben, sondern muss gefunden werden« – wobei er es nicht unterlässt zu versichern, dass er auch wirklich gefunden werden kann . Weil Sinn seiner Erfahrung nach tatsächlich etwas Objektives ist, das einfach nur gesehen, wahrgenommen, erkannt werden muss, um uns das »sieghafte ›Ja!‹« auf die Lippen zu treiben. Weil, wie er sagt, Sinnwahrnehmung nichts anderes ist als die »Entdeckung einer Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit«, wobei diese Möglichkeit jeweils einmalig und vergänglich ist, der in ihr erschlossene Sinn jedoch als »ein für alle Mal« gültig ins Bewusstsein tritt.
Dieser Gedanke ist, zugegeben, nicht leicht zu verstehen, und wir werden noch eine gemeinsame Wegstrecke gehen müssen, bis ich ihn Ihnen – hoffentlich – etwas nähergebracht habe. Mir ist es aber wichtig, schon jetzt die Richtung anzudeuten, die unser Philosophieren nehmen soll: Wenn wir nach einem Konzept von Sinn im Allgemeinen und nach dem Sinn des Lebens – unseres Lebens – im Besonderen fragen, dann geht es darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, was uns dieses vorbehaltlose »Ja!« zum Leben aussprechen lässt, von dem Viktor Frankl berichtet. Dann geht es darum zu verstehen, was es mit diesem Ereignis von Sinn auf sich hat, das wir nicht machen und erzwingen können, sondern das uns – bestenfalls – wie ein Licht in der Dunkelheit entgegenjubelt, auf uns zukommt. Denn nur wenn wir dem Geheimnis dieses Ereignisses von Sinn auf die Schliche kommen, haben wir die Chance, eine Deutung von Sinn formulieren zu können, die tatsächlich trägt; die auch dann trägt, wenn Sinnlosigkeit und Grauen unsere Umgebung erfüllen, so wie Frankl es erleben und erleiden musste. Gerade deshalb ist es für uns überaus aufregend zu erfahren, dass Viktor Frankl – der das Leben inmitten der totalen Sinnlosigkeit erlebt und reflektiert hat – sagt: Sinn ist etwas, das gefunden werden muss und nicht erfunden werden kann. Sinn gibt es, und es liegt an uns, diesen Sinn auf uns wirken zu lassen. Nur – genau das fällt uns Menschen des 21. Jahrhunderts so wahnsinnig schwer. Warum eigentlich?
Die Frömmigkeit des Denkens
Fragen wie diese sind eine Sternstunde der Philosophie, nichts tut sie lieber, als Fragen zu stellen. Im Fragen ist sie ganz bei sich. Zumindest verstehe ich sie so und berufe mich dabei auf Martin Heidegger, der einmal sagte, das Fragen sei »die Frömmigkeit des Denkens«. Ah, ich liebe dieses Wort und möchte deshalb mit Ihnen jetzt einmal so richtig fromm tun, indem ich frage: Ja, was ist eigentlich los in unserer Welt? Wieso diese Sinnfinsternis? Warum haben wir die Dimension der Tiefe verloren? Wieso tappen so viele Menschen im Dunkeln, wenn die kostbare Ressource Sinn ihnen doch eigentlich verfügbar ist? Was hindert die Menschen daran, sie anzuzapfen und Sinn in ihrem Leben aufleuchten zu lassen?
Auch hierzu habe ich eine These, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: Ich glaube, eine große Schwierigkeit besteht darin, dass sich in unser aller
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