Und raus bist du: Kriminalroman (German Edition)
solange sie dieses Ding im Mund hatte.
»Er verhielt sich nie drohend oder aggressiv?«
Sie schüttelte den Kopf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.
»Hatte er Probleme mit Alkohol oder anderen Drogen?«
»Nein. Er trank nicht mehr als andere Leute auch. Nichts, was man als Problem betrachten könnte.«
»Wussten Sie, dass er noch einmal geheiratet hatte?«
»Nein, das wusste ich nicht.«
»Sind Sie darüber erstaunt?«, hakte er nach.
Sie befreite sich von dem Apparat und antwortete ohne sichtbare Gefühlsregung:
»Wie schon gesagt, ich kenne ihn nicht mehr. Warum sollte ich mich dann wundern?«
Sjöberg ließ ihre Frage unbeantwortet und fuhr unverdrossen fort:
»Im Jahr 2001 hat er eine Frau geheiratet, die er auf den Philippinen kennengelernt hatte. Sie hatten zwei gemeinsame Kinder.«
Sie hob erstaunt die Augenbraue, aber Sjöberg war sich nicht sicher, worauf genau sie damit reagierte. Möglicherweise auf das Wort »hatte«, dachte er bei sich. Plötzlich sah sie wieder ganz neutral aus, aber das Atmen schien ihr ohne die künstliche Sauerstoffzufuhr deutlich schwerer zu fallen.
»Vor ein paar Jahren haben sie sich getrennt. Sie haben sich nicht scheiden lassen, aber getrennte Leben geführt.«
»Ist Christer tot?«, fragte sie und führte das Mundstück wieder an die Lippen.
Sjöberg betrachtete sie ein paar Sekunden, bevor er antwortete.
»Nein, Christer lebt. Aber seine Frau und die beiden Kinder sind vor ein paar Tagen in ihrer Wohnung ermordet aufgefunden worden. Vielleicht haben Sie davon in der Zeitung gelesen oder in den Nachrichten gehört?«
Sie nickte mit einer Miene, die Sjöberg – hinter ihrem Sauerstoffschlauch – als etwas nachdenklich, aber nicht im Geringsten erschrocken deutete. Er hatte den Eindruck, dass Christer Larsson tatsächlich keinen Platz mehr in ihrem Leben einnahm. Und warum sollte er auch? Dreißig Jahre waren eine lange Zeit, in Ingegärd Rydins Fall mehr als das halbe Leben. Plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck.
»Sie haben gefragt, ob Christer gewalttätig war. Sie glauben also, dass er seine Familie umgebracht hat?«
»Wir wissen es nicht. Was glauben Sie?«
»Nicht der Christer, den ich gekannt habe«, antwortete sie, ohne den Schlauch aus dem Mund zu nehmen.
»Aber vielleicht der Christer Larsson von 2008?«, bohrte Sjöberg nach.
Sie zuckte nur mit den Schultern, wollte nicht spekulieren. Sjöberg spürte, wie sich eine gewisse Enttäuschung in ihm breitmachte. Er hatte gehofft, mehr aus diesem Gespräch herauszuholen. Ingegärd Rydin konnte er ohne weitere Umstände von der Liste der Verdächtigen streichen, in ihrem Zustand konnte sie noch nicht einmal einem Küken den Hals umdrehen.
Stattdessen musste er ehrlicherweise zugeben, dass es ihm durchaus willkommen gewesen wäre, wenn sie etwas Kompromittierendes über Christer Larsson zu erzählen gehabt hätte. Aber so gerne er auch den Verdacht von Einar ablenken wollte, er durfte seine Objektivität nicht verlieren, darüber war er sich im Klaren.
»Er ist groß und stark«, versuchte er es trotzdem noch einmal. »Seit vielen Jahren krankgeschrieben wegen Depressionen.«
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht.
»Vielleicht ist er nie über die Scheidung hinweggekommen?«
Sie lachte plötzlich los, dass das Mundstück herausflog.
»Doch, das ist er, da bin ich mir ganz sicher«, sagte sie, und Sjöberg konnte weder Ironie noch Verbitterung aus ihrem Lachen heraushören.
Als er einige Zeit später aus dem Wagen stieg und das Zwitschern der Vögel hörte, spürte Sjöberg, dass der Frühling trotz allem vor der Tür stand. Es war bewölkt, aber die Sonne hatte eine Lücke zwischen den Wolken gefunden und strahlte Hoffnung spendend sowohl auf ihn als auch auf die wintermüde Erde, auf der er stand. Auf kurvigen, vom langen Winter angegriffenen Schotterwegen hatte er sich bis an das Grundstück Björskogsnäs 4:14 herangetastet, von dem sich herausgestellt hatte, dass es seiner Mutter gehörte. Das letzte Stück bis zur Grundstücksgrenze hinauf musste er gehen. Es gab zwar einen kleinen Weg, aber der war schon seit langer Zeit mit Büschen und Sträuchern zugewachsen, sodass man ihn mit dem Auto nicht mehr befahren konnte.
Es war ein ziemlich großes Grundstück, laut Grundbuchauszug ungefähr achttausend Quadratmeter, und es lag oben auf einer Anhöhe. Er hatte sich vorgestellt, dass die Natur ihren Charakter ändern würde, sobald er die Grundstücksgrenze erreicht hatte, und das
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