Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
einen Moment, der tote Mann hätte sich bewegt, hätte die Lider geöffnet, um ihn anzusehen: ein verlangendes Gesicht mit einem hellen, verstörten Blick.
    Das Wasser strich gluckernd an der Bordwand entlang, und irgendwo nahebei bellte ein Hund, am Ufer oder auf einem der anderen Boote. Der Commissaris steckte die Taschenlampe in die Tasche seines Trenchcoats und kletterte die Stufen wieder hinauf. Als er die frische Seeluft, die vom IJ landeinwärts wehte, scharf in seiner Lunge spürte, atmete er tief durch. Er brauchte kein Taschentuch, und ihm wurde auch nicht schlecht in Gegenwart von Toten; er atmete einfach flacher.
    Die Leute von der Spurensicherung hatten Scheinwerfer aufgestellt, die das Deck mit gleißendem Licht übergossen. In ihren weißen Overalls bewegten sie sich über die Planken, vermaßen die Entfernung zwischen den Blutflecken, nummerierten sie und stellten kleine Metallschilder mit Zahlen daneben auf. Sie gingen Deckund Gangway ab und beleuchteten die Planken mit Halogenlampen. Mit Pinseln und Magnetstäben überzogen sie Geländer und Türgriffe mit Grafitpulver. Sie fotografierten, sammelten, tüteten ein, protokollierten. Jeden Nagelsplitter, jedes Haar, jede Hautschuppe. Zwei Männer mit Plastikhauben, Mundschutz und weißen Taschen stiegen in den Kielraum hinunter, und etwas später flammte der Widerschein der Blitzlichter durch das Viereck der Luke.
    Ein Streifen Rot breitete sich im Osten über den Himmel aus. Auch ohne die Scheinwerfer war es inzwischen so hell, dass der Commissaris unter den blau uniformierten Polizeibeamten an Deck und an Land nach vertrauten Gesichtern suchen konnte, aber er kannte niemanden. »Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte er den Hoofdagent der Wache Klimopweg aus Amsterdam Noord, der als Erster am Tatort gewesen war.
    »Der Besitzer des Hausbootes. Sein Name ist ...«, der Hoofdagent holte einen Notizblock aus der Tasche seiner Uniformjacke, »... Geert van der Burg. Er war ein paar Tage verreist, und als er gestern Abend zurückkam, hat er festgestellt, dass während seiner Abwesenheit hier alles durchwühlt worden war. Weil nichts fehlte, hat er darauf verzichtet, die Polizei zu rufen. Das Blut hat er gar nicht bemerkt. Erst kurz nach Mitternacht, er war schon zu Bett gegangen, ist ihm der Geruch aufgefallen. Er hat dann das ganze Boot auf den Kopf gestellt und die Leiche entdeckt.«
    »Und er kannte den Toten nicht?«
    »Nein. Er sagt, er hätte ihn noch nie gesehen.«
    »Wo ist er jetzt?«
    Der Hoofdagent blickte zu den Büschen am Kanalweg hinüber, wo ein bärtiger Mann mittleren Alters auf einer Holzkiste saß. Er trug eine ausgefranste Jeans und ein fadenscheiniges Unterhemd, und in der Hand hielt er einen Pappbecher, ohne daraus zu trinken. Selbst auf die Entfernung konnte man sehen, wie seine Hand zitterte.
    Auf der anderen Seite des asphaltierten Kanalwegs bildeten die Bäume des Vliegenbos eine schwarze Wand, und davor zeichnete sich zwischen Büschen und Mülltonnen eine ländliche Idylle ab: ein Drahtkäfig mit ein paar Hühnern darin, ein improvisierter Kinderspielplatz –drei schmutzige Plastikstühle, eine Wippe und eine Schaukel – und ein niedriger Verschlag, in dem ein kleines, grauborstiges Schwein im Dreck stand.
    »Irgendeine Spur von der Tatwaffe?«, fragte der Commissaris.
    »Nein«, antwortete der Hoofdagent. »Wir haben alles so gelassen, wie es war, niemand hat das Opfer angerührt. Vielleicht liegt sie irgendwo unter ihm.«
    Hinter der Mündung des Zijkanaals verschwand das letzte Nacht-blau über den Silhouetten der Schornsteine und Kessel der Ölraffinerie am IJ-Ufer. Aus Richtung des kleinen Yachthafens bog eine Ambulanz auf den Nieuwendammerdijk und gleich danach der dunkelrote Skoda des Gerichtsmediziners. Der Pathologe parkte hinter der Ambulanz und den Polizeiwagen. Er stieg aus und zog ebenfalls einen weißen Overall an, bevor er mit seiner kantigen schwarzen Ledertasche in der Hand auf den Bootssteg zustapfte. Als er die Blutflecken auf dem Asphalt bemerkte, blieb er kurz stehen, dann ging er ihnen nach.
    Es ist besser so , dachte der Commissaris: Am besten stellte man sich vor, die Spritzer wollten einen zu der Leiche führen, damit sie gefunden, untersucht und identifiziert wurde. Es änderte nichts, aber es war besser; das Blut war nicht nur sinnlos herausgeströmt, während das Opfer in panischer Angst über das Deck kroch. Nein, es diente einem Zweck.
    Der Gerichtsmediziner war schlank, aber nur mittelgroß,

Weitere Kostenlose Bücher