Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
es war leicht für ihn. Er ist Kevin bis zum Haus seiner Mutter gefolgt. Jetzt wusste er, wo er wohnt. Dann ist er nach Hause gefahren und hat, noch bevor ich dort ankam, alles geholt, was er brauchte. Danach hat er sich auf die Lauer gelegt, und vom Morgen des Koninginnedags an hat er Kevin nicht aus den Augen gelassen, hat gewartet, bis die Gelegenheit günstig war. Hat beobachtet, mit wem er sich trifft, mit wem er redet. Dieser andere Junge und ein Mädchen, bestimmt hat er ihnen erzählt, was er gesehen hat ...«
Pieters’ Stimme verlor sich einen Moment lang. »Die Menschenmassen auf den Straßen und in den Parks, die Trommeln den ganzen Tag, die Musik, alle sind betrunken oder bekifft oder verrückt, jeder ist verkleidet, die Gesichter sind angemalt mit blauer, roter und weißer Farbe oder dem Orange von Oranje – es kam ihm vor wie daheim, es lag ihm im Blut, müssen Sie wissen, es geht niemals verloren, und selbst mit seiner Bemalung war er nur einer unter vielen, vor allem, als es dann Nacht geworden war ...«
Bedächtig leerte der Commissaris sein Glas.
»Von alldem wusste ich nichts«, sagte Pieters. »Das habe ich erst später erfahren, nachdem Sie bei mir gewesen waren, als mir dieser Verdacht kam. Es war ein schrecklicher Verdacht, ich konnte es erst nicht glauben ... Aber auf einmal passte alles zusammen. Ich habe Keo gefragt. Ich habe gehofft, er würde mich auslachen, er würde nein sagen. Aber er sagte ja , ganz schlicht und einfach ja . Ja zu Kevin, und ja zu diesem anderen Jungen. Einfach ja . Er hatte keinen Grund zu lügen; er hatte nichts Böses getan.«
Ein kühler Luftzug fuhr Van Leeuwen über den Nacken. Die Palmwedel bewegten sich sacht. »Keo hat nicht nur Kevin und Deniz verfolgt«, sagte der Commissaris, »er ist auch mir gefolgt, mir und meiner Frau.«
»Er hat Sie bei mir gesehen. Er wollte mich besuchen und hat Sie aus meinem Büro kommen sehen –«
»– und danach hat er wieder Ihre Angst gespürt, eine neue Angst, denn erst durch meinen Besuch war Ihnen klar geworden, dass Keo der Mörder der beiden Jungen sein könnte –«»– und dass Sie nicht lockerlassen würden, ehe Sie den Fall aufgeklärt haben –«
»– dass ich die neue Bedrohung war. Er hat keine Ahnung, wie die Polizei hier arbeitet – dass meine Kollegen alles wissen, was ich weiß; dass jemand anderer an meine Stelle treten wird, wenn er mich tötet ...«
Van Leeuwen sprach es aus, als wäre es völlig logisch, ein zwingender Gedanke. Das Feuer im Kamin war inzwischen fast heruntergebrannt, aber die Schatten der Palmblätter an den Wänden standen nicht still. Ein Rascheln ging durchs Haus. Etwas klapperte leise, und plötzlich musste Van Leeuwen an die Schädelhäuser in Pieters’ Aufzeichnungen denken, an die Totenhäuser im Hochland von Neuguinea, an das Klappern und Klirren, wenn die aufgehängten Schädel im Wind gegeneinanderstießen, wenn ein Luftzug unter die Muscheln fuhr.
Einige Herzschläge lang war ihm, als hätte er keinen festen Boden mehr unter den Füßen, nichts, woran er sich halten konnte. Er spürte den Wind. Er hörte die Muscheln und die Schädel. Und er wusste, dass er beobachtet wurde, aus dem Urwald heraus. Der Luftzug strich kühl durch den Raum. Van Leeuwen folgte dem Geräusch, klick klack, klick klick, und er sah, wie die Holzkugeln an den Kordeln der Sonnenblenden sich berührten, wie sie gegeneinanderstießen und wieder gegeneinanderstießen und dann aufhörten und still herunterhingen.
Etwas bewegte sich zwischen den Dschungelgewächsen, in dem dichten, fleischigen Gezweig. Das Glas in Pieters’ Schoß hingegen bewegte sich nicht mehr, er hielt es ganz ruhig und gelassen in beiden Händen.
»Es hat zwei Tote gegeben, und jemand wird dafür zur Rechenschaft gezogen«, sagte der Commissaris.
Pieters schwieg. Sein Gesicht lag im Dunkeln, bis auf den Mund und das Kinn, und der Mund schien sich zu kräuseln.
»Wen haben Sie in das Flugzeug nach Neuseeland gesetzt ?«, fragte der Commissaris. »Es war nicht Ihr Sohn. Es war einer der anderen Jungen, oder ? Einer von denen, die Sie später hergeholthaben, etwa in seinem Alter, mit ähnlichem Aussehen und ähnlicher Statur. Keo ist gar nicht in Neuguinea. Er ist hier. Er ist hier in diesem Haus.«
Pieters’ Mund lächelte. Langsam beugte der Professor sich vor, in den Feuerschein. Es war ein Lächeln, doch, das war es, aber es war wie das Lächeln eines Irren. »Wie geht es Ihrer Frau, Commissaris ?«, fragte der
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