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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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sein Glas. »Es war der schlimmste Fall, den ich je hatte, und ich dachte, das Bild des brennenden Jungen aufdem Fensterbrett würde mich bis an mein Lebensende verfolgen. Aber jetzt weiß ich – dank Ihnen und Keo weiß ich jetzt –, dass diese Bilder nicht bleiben. Ich werde andere Bilder sehen. Ich werde Kevin sehen, wie er an einem frühen Morgen ohne Gehirn im Gras liegt, und ich werde Deniz sehen, wie wir ihn aus dem Wasser gefischt haben, die nasse, glänzende leere Hülle eines Jungen. Aber ich werde wissen, dass diese Bilder nicht bleiben, dass sie verschwinden, wenn das nächste Opfer vor mir liegt oder wenn ich wieder jemanden nicht retten konnte. Dafür bin ich Ihnen dankbar.«
    Pieters sagte nichts.
    Die Holzscheite knisterten im Kamin, und die Schatten der Palmwedel glitten über die Wände.
    Dem Commissaris war heiß, vom Feuer und vom Whiskey.
    »Es war doch nur ein Kuss«, sagte Pieters endlich, so leise, dass der Commissaris nicht sicher war, ob er überhaupt etwas gesagt hatte. »Drei Jahre lang war alles gut gegangen. Keo hatte sich wunderbar eingelebt, er vermisste seine Heimat kaum, und die Schule machte ihm Spaß. Er hatte sogar ein paar richtige Freunde gefunden. Er war so dankbar. Er liebte mich, und ich liebte ihn. Es war ganz anders als in Ihrer Geschichte, es war nichts Krankes oder Widernatürliches daran. Aber wie – wie will man das jemandem erklären, in diesem Land, in dem jeder sofort das Schlechteste denkt ?«
    »Was geschah am Abend des Koninginnedags ?«, fragte Van Leeuwen.
    »Es begann schon am Abend davor«, erklärte Pieters. »Ich war den ganzen Tag bis spät in die Nacht in der Klinik gewesen und hatte gearbeitet. Keo war in der Stadt gewesen, mit seinen Freunden. Wir hatten ausgemacht, dass er mich am Abend abholen sollte, damit wir zusammen nach Hause fahren konnten. Als er in die Klinik kam, war er ein wenig betrunken, und ich musste mit ihm schimpfen, denn ich will nicht, dass er trinkt, und es gefiel mir schon gar nicht, dass er noch mit der Vespa unterwegs war. Er war ein bisschen überdreht, die vielen Menschen und die Musik in den Straßen, die Trommeln, die Fröhlichkeit – er nahm meinen Tadel nicht ernst und begann, mit mir herumzualbern.
    Auch ich war etwas überdreht, die Arbeit den ganzen Tag, die Aussicht auf den Nobelpreis, ich hatte es erst am Morgen erfahren ... Die Büros und Gänge um uns herum waren schon verlassen, denn die stationäre Behandlung findet in einem anderen Gebäude statt. Wir dachten, wir wären allein auf den dunklen Fluren. Er lief vor mir weg, wollte Verstecken spielen. Er verkroch sich in einer Kammer. Natürlich fand ich ihn sofort, und wir begannen uns zwischen den Stapeln von Bettlaken und Kopfkissenbezügen und Handtüchern zu balgen. Wir küssten uns, unsere Kleider verrutschten, und plötzlich, ich weiß nicht, wie lange er da schon stand, plötzlich bemerkte ich einen Jungen in der Tür, er hatte da nichts zu suchen, er sah aus, als wäre er von der Straße hereingekommen. Er starrte uns an, im Licht der Notbeleuchtung, aber er konnte uns trotzdem erkennen, mich und Keo und was wir taten, und ich wusste, dass er begriff, ich konnte es auf seinem Gesicht sehen, und ich wusste auch, dass er mich nicht kannte, aber bald würde mein Foto um die Welt gehen ...«
    Pieters’ Hände drehten das leere Whiskeyglas auf seinem Schoß, erst nach links, dann nach rechts, wieder nach links und wieder nach rechts, hin und her, hin und her. »Keo hat so feine Antennen. Er spürt alles. Er spürt, was ich fühle, bevor ich selbst weiß, dass ich es fühle. Er spürte mein Erschrecken, meine jähe Angst. Er sah den Jungen, der von der Tür zurückwich und dann weglief. Wir hörten, wie seine Turnschuhe auf dem Boden quietschten und dass er sehr schnell weglief. Etwas, das wegläuft, muss man jagen, instinktiv und schnell. Manchmal hat man nur eine Chance. Plötzlich war ich allein, Keo war verschwunden. Er tauchte erst am Morgen des 1. Mai wieder auf, draußen, in unserem Haus. Er war müde, erschöpft, aber auch merkwürdig erhellt ... Er sagte mir nicht, wo er gewesen war oder was er getan hatte. Er umarmte mich und sagte auf Fore: Hab keine Angst ... «
    Pieters’ Gesicht lag im Schatten, nur ein schwacher Glanz verriet seine Augen. »Er ist ihm gefolgt. Er ist dem Jungen, Kevin, gefolgt und hat ihn beobachtet. Er ist gut darin, jemanden zu verfolgen und ihn zu beobachten. Kevin hatte ein Fahrrad, aber Keo war jamit der Vespa unterwegs,

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