Und wieder Carmel
einmal heftig auf die Bremse und brachte den Wagen abrupt zum
Stehen. Reflexartig zog Alex mich an sich und durch den Rückschlag stießen
unsere Köpfe aneinander.
„Aua“, rief ich und fühlte den dumpfen Schmerz.
„Mädchen“, sagte Alex abwertend, öffnete die Tür und schob mich von sich
runter.
Amy war durch das heftige Bremsmanöver von Scott zwischen die Sitze und die
Beine von Peter, Marc und Vicky gerutscht. Sie begann so herzhaft zu lachen,
dass sie sich nicht allein aus ihrer misslichen Lage befreien konnte. Scott
klappte den Sitz nach vorn, griff nach ihren Armen und zog sie aus dem Wagen.
Rita-Sue stand mit verschränkten Armen am Eingang und schaute uns böse an. Sie
und Alex schienen einen Komplott gegen mich zu schmieden, ich wusste nur nicht
warum.
Und nun stehe ich hier mit Vicky,
Rita-Sue und Amy und alle lächeln und sind vor lauter Vorfreude total aus dem
Häuschen.
Vicky verzeiht mir schnell, dass ich sie nicht wieder erkannt habe, greift nach
meiner Hand und zieht mich ins Haus. Wir gehen in ein Zimmer im oberen Stock,
wo Amy und ich uns auf ein kleines Sofa setzen und uns die Augen zuhalten
müssen. Sie rascheln mit irgendetwas herum und ich versuche durch meine Finger
zu spähe . Verdammt, sie hat etwas davor gestellt, denke ich, weil ich
nur einen bunten Paravent sehen kann. Ok, was kann jetzt kommen, das
Hochzeitskleid, oder die Brautjungfernkleider oder Alex, nein, den könnte man
auch ohne Sichtschutz zeigen. Ich werde ungeduldig. Endlich schiebt Vicky
den Paravent zur Seite und zum Vorschein kommt Rita-Sue in ihrem
Hochzeitskleid. Ein Traum aus weißem Satin, mit einer langen Schleppe,
trägerlos und mit zarten Stickereien übersäht.
„Ist es nicht wundervoll?“, fragt Rita-Sue.
„Ja, das ist es“ , stimmen Amy und ich zu . Das ist es wirklich.
Vicky verlässt plötzlich den Raum.
„Wie sich alles verändert, nicht wahr?“, sagte Rita-Sue und dreht sich vor
einem extra aufgestellten mannshohen Spiegel.
„Ja, es kommt immer anders, als man denkt“, sage ich.
„Ach Anna, ich bin so glücklich.“
Ich lächle gequält und balle meine Hände zu Fäusten. Noch Stunden vor dem
Abflug hatte ich mich zu dem Gedanken durchgerungen, mich für Rita-Sue zu
freuen. Doch jetzt, wo sie vor mir steht, mit ihrer perfekten Figur, in ihrem
perfekten Hochzeitskleid, erkenn ich mich selbst kaum wieder und gönne ihr kein
bisschen Hochzeitsglück.
Ihr mit meiner Faust ins Gesicht zu schlagen, würde mich mit äußerster
Befriedigung erfüllen. Vicky betritt den Raum mit einer Flasche Champagner in
einem Champagnerkühler und vier Gläsern. Glück gehabt Rita-Sue, denke
ich und öffne eine Faust um Vicky ein Glas abzunehmen. Alkohol ist dein
Helfer in der Not, du hast so recht Herbert Grönemeyer. Vicky juchzt auf
als sie die Flasche entkorkt hat und befüllt dann unsere Gläser.
„Auf Rita-Sue!“, ruft sie laut.
„Auf Anna!“, jubelt Rita-Sue.
„Auf Vicky!”, lasse ich mich von den beiden anstecken.
„Auf Amy!“, ruft Vicky laut, was meine Meinung über sie wieder bestätigt.
Rita-Sue und Vicky lachen und mein mir bisher unbekanntes „böses“ Ich kann nur
denken, wenn ich jetzt eine schöne große Bratpfanne in der Hand hätte,
könnte ich beiden einfach eine überziehen. Ein herrlicher Gedanke.
Stattdessen leere ich mein Glas in einem Zug und fühle, wie der Schampus bis in
meinen Magen hinunter läuft und dort ein angenehmes Gefühl verbreitet.
Nach zwei weiteren Gläsern frühstücken wir in Vickys Küche. Dort erzählt Vicky,
wie sie sich in Scott verliebt hat. Und das nimmt Rita-Sue natürlich zum Anlass
mir unter die Nase zu reiben, wie sie Alex rumgekriegt hat. „Also, ich hab mein
Bärchen, so nenne ich ihn immer“ Rita-Sue kichert verlegen und mir wird
schlecht, „also mein Bärchen und ich haben uns in L.A. wieder getroffen, ganz
zufällig.“ Ja, ja, ganz zufällig , denke ich. „Ich wollte gerade in den
Fahrstuhl steigen, um mich bei einer Immobilienfirma als Sekretärin
vorzustellen. Da stand er in seinem schicken Anzug. Er sieht super aus, wenn er
einen Anzug trägt.“ Gott ist die oberflächlich. „Wir hatten nicht viel
Zeit und verabredeten uns für den Abend zum Dinner“, erzählt Rita-Sue weiter.
„Er war so zuvorkommend und höflich, so kannte ich ihn gar nicht.“
Ich schlinge meinen Toast hinunter und spüle mit Kaffee nach. Ich sollte noch
etwas mehr im Magen haben, als ein Pancake, damit ich es auch wieder auswürgen
kann, wenn das Maß erreicht ist.
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