Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Engel bist.»
Eine gute Antwort. Das muss ich ihr lassen.
Aber einen ausgeprägten Sinn für Humor haben Schwarzflügel offenbar nicht.
Mit dem Flammenstrom, der plötzlich aus seiner Hand schießt, haben wir beide nicht gerechnet. Das Feuer trifft meine Mutter an der Brust und breitet sich sofort in ihrem Haar aus. Der von uns ausstrahlende Glanz verlöscht. Kaum ist der Glanz verschwunden, stürzt sich der Engel auf uns, und seine Hand legt sich um Mamas Kehle. Er hebt sie in die Luft. Hilflos rudert sie mit den Beinen. Sie schlägt wild mit den Flügeln. Ich versuche, meine Hand aus ihrer zu lösen, damit ich gegen ihn kämpfen kann, aber sie hält mich weiter fest umklammert. Ich kreische und schlage mit der anderen Hand auf ihn ein, zerre an seinem Arm, aber es hilft alles nichts.
«Keine glücklichen Gedanken mehr», sagt er. Voller Traurigkeit starrt er ihr in die Augen. Wieder bin ich ganz erfüllt von seinem Kummer. Es tut ihm leid, dass er sie töten muss. Ich sehe sie durch seine Augen, eine Erinnerung an sie mit kurzgeschnittenem braunem Haar, sie raucht eine Zigarette und lächelt süffisant zu ihm hoch. Dieses Bild von ihr hat er beinahe hundert Jahre lang in seinem Gedächtnis bewahrt. Er glaubt wirklich, dass er sie liebt. Er liebt sie, aber er wird sie erwürgen.
Ihre Lippen werden blau. Ich schreie und schreie.
Bleib ruhig , höre ich wieder ihre Stimme in meinem Kopf, streng, überraschend stark für jemanden, der aussieht, als würde er jeden Moment vor mir sterben. Der Schrei erstickt in meiner Kehle. In meinen Ohren hallt noch sein Echo. Mühsam schlucke ich.
Ich hab dich so lieb, Mama.
Ich will, dass du jetzt an Tucker denkst.
Es tut mir so leid, Mama.
Jetzt! , drängt sie. Ihre Bewegungen werden schwächer, ihre Flügel hängen nun reglos an ihrem Rücken. Mach die Augen zu und denk an Tucker. JETZT!
Ich schließe die Augen und versuche, mich auf Tucker zu konzentrieren, aber ich kann an nichts anderes denken als an die Hand meiner Mutter, die leblos in meiner liegt, und niemand wird uns jetzt retten.
Ruf dir etwas Schönes ins Gedächtnis , flüstert sie in meinem Kopf. Erinnere dich an einen Moment, als du gespürt hast, wie sehr du ihn liebst.
Und genau das tue ich dann auch.
«Was will ein Fisch in der Apotheke?», fragt er mich. Wir sitzen am Ufer eines Flusses, und er befestigt eine Fliege an meiner Angelschnur. Er hat einen Cowboyhut auf und trägt ein rotes Holzfällerhemd über einem grauen T-Shirt. Zum Anbeißen
«Was?», frage ich, und ich will lachen, obwohl er noch gar nicht zur Pointe gekommen ist.
Er grinst. Nicht zu fassen, wie hinreißend er ist. Und dass er mir gehört. Er liebt mich, und ich liebe ihn, was für ein wunderbares seltenes Glück.
«Ein Anti-Schuppen-Shampoo», sagt er.
Jetzt, da ich daran denke, muss ich laut lachen. Ich merke, dass mich die gleiche Freude erfüllt, die ich damals verspürte. Das, was ich an jenem Tag in der Scheune fühlte, als ich ihn küsste, ihn eng an mich presste, als ich eins mit ihm war und mit jedem Lebewesen auf Erden.
Plötzlich weiß ich, was meine Mutter vorhat. Sie braucht mich, um den himmlischen Glanz hervorzubringen. Ich muss alles andere abwerfen, alles mit Ausnahme meines innersten Wesens, des Teils, der mit allem um mich herum verbunden ist, des Teils, der meiner Liebe Nahrung gibt. Das ist der Schlüssel, wird mir klar, das, was den Glanz hervorbringt. Deshalb bin ich an dem Tag mit Tucker in der Scheune erstrahlt. Da war nichts als Liebe. Liebe. Liebe .
So , sagt Mama in meinem Kopf. So, das ist es .
Ich öffne die Augen, und es dauert einen Moment, bis sich meine Augen an das strahlende Licht gewöhnt haben, das jetzt aus mir herauskommt. Aus mir leuchtet. Ich glühe wie eine Fackel, das Licht sprüht und funkelt aus mir wie die Feuerwerkskörper am Nationalfeiertag.
Der Schwarzflügel zuckt zurück. Immer noch halte ich seinen Arm, und wo ich ihn berühre, löst sich seine Haut auf, als könne ich nun den Teil seines Körpers durchdringen, der unecht ist, die menschliche Kleidung, die er trägt, und als könne ich so zu dem Geschöpf darunter gelangen. Hitze durchströmt meine Fingerspitzen.
«Nein», flüstert er ungläubig.
Er gibt meine Mutter frei, und sie fällt mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Ich lasse ihre Hand los und packe den Engel am Ohr, und damit hat er nicht gerechnet. Er will sich zurückziehen, aber mühelos halte ich ihn weiter fest. Seine übermächtige Stärke ist
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