Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
tätschelt mir die Hand, dann geht sie nach unten, um weitere Kartons auf ihren Pick-up zu laden. Sie wird am nächsten Morgen nach Kalifornien vorausfahren, und Angelas Mutter Anna und ich werden ihr mit meinem Auto folgen. Ich gehe auf den Flur. Das Haus ist still, aber es scheint von einer Art Energie beseelt, als wäre es voll von Geistern. Ich starre auf Jeffreys geschlossene Tür. Er sollte da sein. Er sollte gerade das vorletzte Schuljahr auf der Jackson Hole Highschool begonnen haben. Er sollte regelmäßig zum Fußballtraining gehen und seine ekligen frühmorgendlichen Protein-Shakes trinken, und im Wäschekorb sollten Waggonladungen stinkender Sportsocken liegen. Ich sollte jetzt zu seiner Tür gehen und klopfen können und ihn dann sagen hören: Hau ab . Aber ich würde trotzdem hineingehen, dann würde er von seinem Computer aufschauen und vielleicht seine ohrenbetäubende Musik einen Tick leiser stellen, mich angrinsen und sagen: Bist du noch nicht weg? Und vielleicht würde mir dann etwas ähnlich Schlagkräftiges einfallen, was ich erwidern könnte. Aber am Ende wüssten wir beide, dass er mich vermissen würde. Und ich würde ihn vermissen.
Ich vermisse ihn.
Die Haustür unten wird geschlossen. Billy ist wieder reingekommen. Einen Moment später ruft sie zu mir herauf: «Erwartest du jemanden?»
Mir wird das Geräusch eines Autos bewusst, das die Auffahrt herauffährt. «Nein», rufe ich zurück. «Wer ist es denn?»
«Besuch für dich», sagt sie.
Ich laufe die Treppe hinunter.
«Ah, gut», sagt Wendy, als ich die Tür aufmache. «Ich hatte schon Angst, ich hätte dich verpasst.»
Automatisch sehe ich mich nach Tucker um, mein Herz vollführt einen idiotischen kleinen Tanz.
«Er ist nicht mitgekommen», sagt Wendy sanft. «Er, äh …»
Oh. Er wollte mich nicht sehen.
Ich versuche zu lächeln, während irgendetwas in meiner Brust sich schmerzhaft zusammenzieht. Klar, denke ich. Wieso sollte er mich auch sehen wollen? Wir haben Schluss gemacht. Sein Leben geht ohne mich weiter.
Ich zwinge mich dazu, mich auf Wendy zu konzentrieren. Sie hält einen Pappkarton an die Brust gepresst, als hätte sie Angst, ihn zu verlieren. Sie tritt von einem Fuß auf den anderen. «Was gibt es denn?», frage ich.
«Ich hatte noch Sachen von dir», antwortet sie. «Ich fahre morgen ins College, und ich … ich dachte, du hättest die Sachen gern wieder.»
«Danke. Ich fahre morgen auch», sage ich zu ihr.
Einmal, als Wendys Bruder und ich gerade zusammengekommen waren, hatte sie zu mir gesagt, sie würde mich in Pferdemist vergraben, sollte ich Tucker weh tun. Seit wir getrennt sind, rechne ich daher unbewusst immer damit, dass sie mit einer Schaufel hier aufkreuzt und sie mir über den Kopf zieht. Und irgendwie denke ich, dass ich das womöglich verdient habe. Aber hier steht sie nun, so verletzlich und voller Hoffnung, als ob sie mich diesen Sommer vermisst habe. Als ob sie mich immer noch als Freundin wolle.
«Danke», sage ich noch einmal. Ich lächle, strecke die Hand nach dem Karton aus. Scheu erwidert sie mein Lächeln und reicht mir den Karton. Darin sind ein paar DVDs, Zeitschriften, mein Exemplar von Vampire Academy mit den vielen Eselsohren und ein paar andere Bücher, ein paar Abendschuhe, die ich ihr für den Abschlussball geliehen hatte.
«Wie war Italien?», fragt sie, als ich den Karton auf dem Boden absetze. «Ich habe deine Karte bekommen.»
«Es war herrlich.»
«Das glaub ich gern», sagt sie und seufzt voller Neid. «Ich wollte immer schon mal eine Rucksacktour durch Europa machen. Ich möchte London sehen, Paris, Wien …» Sie lächelt. «He, zeig mir doch deine Fotos, ja? Die würde ich so gern sehen. Natürlich nur, wenn du Zeit hast.»
«Äh, klar.» Ich laufe nach oben, hole meinen Laptop, dann setze ich mich mit ihr im Wohnzimmer aufs Sofa und gehe die Fotos von diesem Sommer durch. Ihre Schulter berührt meine, als wir uns Bilder vom Kolosseum ansehen, von den römischen Bögen und Gewölben wie den Katakomben, dann von der Toskana mit ihren Weinbergen und sanften Hügeln, Florenz, dann ein Foto von mir, wie ich am Schiefen Turm von Pisa diese blöde Geste mache, als wollte ich den Turm stützen.
Und dann blitzt kurz ein Foto auf – Angela und Phen ganz oben auf dem Petersdom.
«Warte, geh noch mal zurück», sagt Wendy, als ich es schnell wegklicke.
Zögerlich drücke ich die Taste, um zum vorherigen Bild zurückzugehen.
«Wer ist denn das?», haucht sie.
Ich
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