Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
mexikanische Ringermaske trägt, die sein ganzes Gesicht bedeckt. Eine goldglänzende Ringermaske. Und sonst weiter nichts.
«Meine Augen, meine Augen», kreischt Angela, und wir kichern alle hysterisch; dann ist das Musikstück vorbei, und wir können wieder etwas hören und bekommen die Anweisung zu laufen.
«Lauft, ihr Ersties, lauft!», schreien sie, und das tun wir dann wie eine Herde verwirrter Rinder im Dunkeln, die panikartig die Flucht ergreifen. Als wir schließlich stehen bleiben, befinden wir uns vor dem nächsten Wohnheim, die Musikkapelle setzt wieder ein, und schon bald strömt eine weitere Menge verschlafener, verwirrter Erstsemester durch die Türen.
Ich habe Angela aus den Augen verloren. Ich schaue mich um, aber es ist zu dunkel und die Menschenmenge zu dicht, ich kann sie nicht sehen. Ich erkenne, nur ein paar Meter von mir entfernt, eine ihrer Mitbewohnerinnen. Ich winke. Sie lächelt und drängt sich durch die Menge, als sei sie erleichtert, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Halbherzig bewegen wir uns ein paar Minuten zur Musik, ehe sie sich zu mir herüberbeugt und mir ins Ohr brüllt: «Ich bin Amy. Du bist Angelas Freundin aus Wyoming, ja?»
«Stimmt. Clara. Woher kommst du?»
«Phoenix!» Sie reibt sich die Arme. «Mir ist kalt!»
Auf einmal setzen wir uns wieder in Bewegung. Diesmal achte ich darauf, nahe bei Amy zu bleiben. Ich gebe mir Mühe, nicht daran zu denken, wie ähnlich das alles, zumindest in Teilen, meiner Vision ist – das Herumlaufen im Dunkeln, nicht zu wissen, wohin ich gehe oder was ich tun werde. Das hier soll Spaß machen, ich weiß ja, aber ich finde es eher ein bisschen gruselig.
«Hast du eine Ahnung, wo wir sind?», schreie ich beim nächsten Halt Amy zu.
«Was?» Sie kann mich nicht hören.
«Wo sind wir?», brülle ich.
«Ach so.» Sie schüttelt den Kopf. «Keine Ahnung. Ich schätze, die werden uns jetzt über den ganzen Campus laufen lassen.»
Ich muss daran denken, dass sie uns bei der Einführung erzählt haben, dass Stanford den größten Campus von allen Universitäten auf der Welt hat, abgesehen von einer Uni in Russland.
Es könnte eine lange Nacht werden.
Von Angela und ihrer anderen Mitbewohnerin ist immer noch nichts zu sehen; die andere Blondine heißt Robin, erzählt mir Amy. Also bleiben Amy und ich zusammen und tanzen und lachen dem Nackten zu und unterhalten uns, lautstark schreiend, so gut wir können. In der nächsten halben Stunde finde ich Folgendes über Amy heraus: Wir sind beide bei allein erziehenden Müttern und mit einem kleineren Bruder aufgewachsen, wir sind beide total begeistert, dass jeden Morgen zum Frühstück im Speisesaal unseres Wohnheims Reibekuchen serviert werden, wir sind beide entsetzt über die klaustrophobisch winzigen Duschkabinen in den Bädern, und wir sind beide genervt von unserem nicht zu bändigenden Haar.
Wir könnten Freundinnen sein, wird mir klar. Ich könnte meine erste neue Freundin in Stanford kennengelernt haben, einfach so. Vielleicht ist dieser Dauerlauf mit Marschkapelle ja doch zu etwas nutze.
«Was ist denn dein Hauptfach?», fragt sie, während wir weiterlaufen.
«Ich hab mich noch nicht entschieden», antworte ich.
Sie strahlt. «Ich auch nicht.»
Ich mag sie immer mehr. Aber dann passiert das Unglück. Als wir das nächste Wohnheim erreichen, stolpert Amy und fällt. Es haut sie einfach auf den Boden, und ich sehe nur noch wedelnde Arme und Beine. Ich gebe mir die größte Mühe, dafür zu sorgen, dass der ständig wachsende Strom vorwärtsdrängelnder Erstsemester nicht über sie hinwegtrampelt, dann gehe ich auf dem Gehweg neben ihr in die Knie. Es hat sie heftig erwischt. Das wird mir klar, als ich in ihr bleiches Gesicht schaue und sehe, wie sie sich krampfhaft den Knöchel hält.
«Ich habe mir den Fuß umgeknickt.» Sie stöhnt. «Gott, ist das peinlich.»
«Kannst du aufstehen?», frage ich.
Sie versucht es, und ihr Gesicht wird noch bleicher. Schwerfällig lässt sie sich wieder auf den Boden fallen.
«Okay, schon verstanden, es geht also nicht», folgere ich. «Bleib hier. Ich bin gleich wieder da.»
Ich laufe herum und suche nach jemandem, der wenigstens im Ansatz einen hilfreichen Eindruck macht, und wie durch ein Wunder entdecke ich Pierce am Rand der Menge. Die Gelegenheit für ihn, seine Fähigkeiten als «Wohnheim-Doktor» unter Beweis zu stellen. Ich renne zu ihm hinüber und berühre seinen Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er lächelt, als er mich
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