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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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gekannt, aber Sylveste war ziemlich sicher, dass er das Beta-Sim nie gesehen hatte… schon gar nicht in einer Situation, in der es ganz offensichtlich von seinem Sohn um Rat gefragt wurde. Das Eingeständnis, dass er Cals Beistand brauchte – dass er auch nur daran gedacht hatte, das Sim zu Hilfe zu rufen –, konnte als kritisches Zeichen von Schwäche gedeutet werden.
    »Worauf wartest du noch?«, fragte Cal. »Stell ihn durch.«
    »Er weiß nichts von dir… von uns.«
    Calvin schüttelte den Kopf, und plötzlich stand Janequin im Raum. Ein Schock! Sylveste rang um Fassung, aber er wusste nur zu gut, was geschehen war. Calvin hatte einen Weg gefunden, auf die abgesicherten Funktionen des Schreibpults zuzugreifen.
    Er war schon immer ein Schuft gewesen, mit allen Wassern gewaschen. Doch letzten Endes, dachte Sylveste, war er ihm nur deshalb nach wie vor von Nutzen.
    Janequins Vollprojektion war nicht ganz so scharf wie die von Calvin, denn sie wurde über das – gelinde gesagt lückenhafte – Satellitennetz von Mantell übertragen. Auch die Aufnahmekameras hatten wahrscheinlich schon bessere Tage gesehen, dachte Sylveste – wie so vieles auf Resurgam.
    »Da bist du ja«, sagte Janequin. Er hatte zunächst nur Sylveste bemerkt. »Ich versuche dich schon seit einer Stunde zu erreichen. Kannst du dich in deiner Grube nicht anpiepsen lassen, wenn ein Anruf kommt?«
    »Schon«, sagte Sylveste, »aber ich habe den Alarm abgeschaltet. Er war mir lästig.«
    »Ach so«, sagte Janequin mit einem kaum hörbaren gereizten Unterton. »Sehr sinnvoll. Besonders für jemanden in deiner Lage. Du weißt natürlich, wovon ich spreche. Es gibt Ärger, Dan, mehr vielleicht, als du…« Jetzt hatte er offenbar auch Cal bemerkt. Er betrachtete die Gestalt im Lehnstuhl eine Weile, dann sagte er: »Du meine Güte. Sie sind es wirklich, nicht wahr?«
    Cal nickte stumm.
    »Es ist seine Beta-Simulation«, sagte Sylveste. Das musste geklärt werden, bevor das Gespräch fortgesetzt wurde; Alphas und Betas waren grundlegend verschieden, und bei den Stonern legte man großen Wert darauf, die beiden sauber zu trennen. Janequin in dem Glauben zu lassen, es handle sich um die längst verloren gegangene Alpha-Aufzeichnung, wäre ein schwerer Fauxpas gewesen.
    »Ich wollte mich gerade mit ihm… beraten«, sagte Sylveste.
    Calvin schnitt eine Grimasse.
    »Worüber?«, fragte Janequin. Er war ein alter Mann – der älteste Mensch auf Resurgam – und sein Aussehen kam dem Idealbild eines Affen von Jahr zu Jahr näher. Ein rosiges Gesichtchen, umrahmt von weißem Haar, weißem Schnurrbart und weißem Bart wie bei einem der seltenen Krallenäffchen. Auf Yellowstone hatte es abgesehen von den Meistermischern keinen begnadeteren Genetiker gegeben, ja, in gewissen Kreisen schätzte man Janequin sogar höher als alle Angehörigen dieser Sekte, obwohl an seiner Genialität nichts Spektakuläres war. Er bestach nicht durch brillante Geistesblitze, sondern hatte sich sein Können in jahrelanger stiller, aber ausgezeichneter Arbeit erworben. Inzwischen stand er weit im vierten Lebensjahrhundert, und die Wirkung der Langlebigkeitsbehandlungen bröckelte sichtbar ab. Sylveste vermutete, dass der Genetiker schon bald als erster Mensch auf Resurgam an Altersschwäche sterben würde. Der Gedanke machte ihn traurig. Er war zwar in vielen Dingen anderer Meinung als Janequin, aber in wichtigen Fragen hatten sie immer den gleichen Standpunkt vertreten.
    »Er hat etwas gefunden«, sagte Cal.
    Janequins Augen leuchteten auf, die Begeisterung des Wissenschaftlers nahm ihm die Last vieler Jahre von den Schultern. »Tatsächlich?«
    »Ja, ich…« Wieder trat eine seltsame Veränderung ein. Der Raum verschwand. Die drei standen auf einem Balkon hoch über einer Stadt, die Sylveste sofort als Chasm City erkannte. Auch diesmal hatte Calvin die Hand im Spiel. Das Schreibpult war ihm gefolgt wie ein Hündchen. Wenn Cal auf seine abgesicherten Funktionen zugreifen konnte, dachte Sylveste, dann war er auch imstande, eine der Standardszenerien abzurufen. Die Simulation war ausgezeichnet: sogar der Wind blies Sylveste ins Gesicht, und er spürte den kaum wahrnehmbaren Geruch der Stadt, der schwer zu beschreiben war, aber bei billigeren Projektionen sofort vermisst wurde.
    Es war die Stadt seiner Kindheit: auf dem Höhepunkt der Belle Epoque. In der Ferne zogen goldene Maschinen wie künstliche Wolken über den Himmel. Es herrschte lebhafter Flugverkehr. Darunter zog eine

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