Die Gesichter der Zukunft
ALFRED BESTER
Der Joker
1.
Der schwarze Wagen überholte sie, zog nach rechts und drängte ihren Zweisitzer zum Straßenrand. Bremsen quietschten. David Conn stieß die Tür auf, schulterte seinen schweren Rucksack und packte Hildas Handgelenk.
»Komm mit, schnell!« sagte er.
Die Dämmerung des frühen Abends vertiefte sich, als sie keuchend über die Felder rannten. Conn hörte etwas vorbeizischen, und eine halbe Sekunde später kam der peitschende Knall eines Schusses von hinten.
»Sie meinen es ernst«, sagte Conn.
Er blickte zurück, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Vier – fünf – sechs Gestalten folgten ihnen. Wenn er nur eine Deckung finden könnte. Aber sie liefen über eine völlig ebene Wiese, die wie ein Fußballplatz aussah. Dann machte er zweihundert Meter zur Linken eine sandige Mulde aus; in ihrer Nähe steckte eine weiße Stange mit einem kleinen Markierungswimpel im kurzen Gras. Ein Golfplatz.
»Hier entlang!« Conn änderte die Richtung.
Wieder krachten Schüsse, laut und klar im Aprilabend, als sie sich über den grasigen Rand in die weiche Sandgrube fallen ließen. Conn entledigte sich hastig seines Rucksacks, kroch zum Rand und spähte zurück. Er zog seine Pistole und feuerte auf den nächsten Verfolger. Hilda schob sich neben ihn.
»Bleib unten«, sagte Conn. »Sie wollen dich.«
»Lebend«, sagte Hilda, »nicht tot. Tot können sie nichts mit mir anfangen.«
»Aber mit mir«, sagte Conn. »Oder jedenfalls glauben sie es.«
Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Die sechs dunklen Gestalten seiner Verfolger standen außer Schußweite beisammen und berieten. Conn zählte seine Patronen. Zwei Magazine. Zwölf Schuß. Das würde kaum genügen. Sobald es dunkel wäre, würden sie es mit einem Sturmangriff von allen Seiten versuchen. Er konnte sich keinen Zeitverlust leisten. Um acht mußte er bei der Maschine sein – und das gab ihm weniger als eine Stunde, um einen unmöglichen Kampf auszufechten und zu gewinnen.
»Eine Kugel kannst du für mich aufsparen«, sagte Hilda Conn warf ihr einen schnellen Blick zu. Das weiche blonde Haar und die blauen Augen. Unheimlich, dachte er. Ich habe mich in ein Mädchen verliebt, das tausend Jahre vor meiner Geburt gestorben ist. Ich sehe ihr liebliches Gesicht und möchte es küssen, und dabei weiß ich, daß es seit tausend Jahren zu Staub und Asche zerfallen ist.
»Das ist Unsinn«, sagte Conn. »Du weißt nicht, was ich kann.«
»Vielleicht weißt du nicht, was sie können«, antwortete sie mit einer Kopfbewegung zu den Verfolgern. »Sie werden mich entführen und als Geisel festhalten, um eine Erpressung zu inszenieren.«
Die sechs Gestalten standen noch immer beisammen. Conn wußte, welches ihr großes Problem war. Sie überlegten, wie sie vermeiden könnten, daß Hilda bei ihrem Angriff getötet würde. Es wurde rasch dunkel. Conn schickte zwei Kugeln in ihre Richtung, nur um sie wissen zu lassen, daß er aufpaßte. Dann warf er Hilda einen zweiten Blick zu. Sie lächelte ungewiß.
»Ich finde, daß du schön bist«, sagte er.
»Du denkst, daß du dich niemals in diese Sache hättest hineinziehen lassen sollen«, sagte Hilda. »Du wünschst dir, daß Premierminister Pietjen nie eine Tochter gehabt hätte.«
»Nein«, sagte Conn. Er begann die Kontrolle über seine Nerven zu verlieren, als er sah, daß er die Verfolger kaum noch ausmachen konnte. Der Gedanke, wie sie Hilda behandeln würden, wenn sie ihnen in die Hände fiele, verursachte ihm eine Gänsehaut.
»Paß auf«, sagte er. »Ich hatte nicht den Mut, dir zu sagen, von wo ich bin. Ich wollte warten, bis ich die Stelle erreichte, die mein Ziel ist – der kleine Hügel, den ich dir vorhin zeigte. Kannst du erraten, was ich meinte, als ich sagte: tausend Jahre?«
»Nein. Es kommt mir verrückt vor. Ich weiß nur, daß du es eilig hattest, irgendwohin zu kommen, als sie uns erwischten. Letzten Monat sagtest du mir, du seist ein Journalist von der Westküste, San Francisco oder so …«
»Journalist ist vielleicht richtig, aber nicht von der Westküste.« Conn befingerte nervös die Pistole. Seine Hände waren feucht. »Vielleicht wirst du es nicht glauben …«
Hilda stieß ihn an. Die Gestalten der Verfolger hatten sich getrennt. Er konnte sie kaum noch erkennen. Durch die Stille der anbrechenden Nacht hörte er die leise wischenden Geräusche, mit denen ihre Schuhe durch das taufeuchte Gras streiften. Conn wartete, und sein Herz schlug dumpf gegen seine
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