Unfassbar für uns alle
den Großen Drachen»). Folgt 1985 seine Vertreibung aus der sog. Hauptstadt, nachdem er im Affekt versucht hatte, einen tyrannischen Vorgesetzten zu erschlagen («Friedrich der Große rettet Oberkommissar Mannhardt»), und es kommt seine Zeit in Bramme («Nieswand kennt Tag und Stunde»). Dann 1988 Rückkehr nach Berlin, wo er sich nicht nur um ein entführtes Prominentenbaby zu sorgen hat («Da hilft nur noch beten»), sondern auch als Dozent im Fach Kriminalistik wirken darf. Es folgen die einmalige Kooperation mit der MUK der DDR («Schau nicht hin, schau nicht her»), Irritationen in der Zeit nach der Wende («Ein Deal zuviel» und «Von oben herab») und ein abermaliger Platzverweis: Er wird zum Aufbau eines modernen Polizeiapparates in ein neues Bundesland geschickt, nach Oranienburg, einer brandenburgischen Kreisstadt vor den Toren Berlins, und wirkt nun hier als «Polizeimissionar» («Blut will der Dämon», «Mit dem Tod auf Du und Du» und «Der Satansbraten»), In O-Burg hat er viel Muße und beschließt, selber einmal alles aufzuschreiben, was ihm so widerfährt. Er braucht eine Weile dafür, denn zwischendurch muß er wieder in Berlin aushelfen, wo man den Großen Lauschangriff gestartet hat und einen Senatsbaurat vor die S-Bahn stößt («Fendt hört mit»). Endlich ist Roland K. nun fertig. Der Bitte, seinen Text ein wenig zu überarbeiten und dann unter meinem Kürzel bei Rowohlt zu veröffentlichen, kann ich mich selbstverständlich nicht verschließen. Aus naheliegenden Gründen bleibt Roland K. aber auch in diesem Falle – beim nun schon fünfzehnten Roman mit ihm (abgesehen einmal von seinen Auftritten in diversen Hörspielen und Kurzgeschichten) – beim Pseudonym Hans-Jürgen Mannhardt.
Horst Bosetzky
Berlin, im Herbst 1994
1. Szene
Massengräber des Speziallagers Nr. 7
Ich starrte auf die weiße Tafel, die auf einem der vielen märkischen Findlinge lag, und schluckte.
Hier liegen die sterblichen Überreste vieler Internierter und Gefangener des Speziallagers Nr. 7, das das NKWD 1945-1950 in Sachsenhausen betrieb. Namen und Anzahl der Toten, Geburts- und Todesdaten sind unbekannt.
Im Frühjahr 1990 wurde das Schweigen über diesen Ort gebrochen.
Betroffene, Hinterbliebene der Toten und die Gemeinde Schmachtenhagen gestalteten 1991 diese Stätte des Gedenkens und der Erinnerung.
Wir befanden uns auf einer schmalen Lichtung inmitten der ausgedehnten Kiefernwälder des Schmachtenhagener Forstes, wenige Kilometer von Oranienburg entfernt. Am Fuße des Steins standen eine rote Kerze und ein verwelkter Asternstrauß. Heike fotografierte die Gedenktafel und anderes. Sylvester, unser Sohn, lag im Kinderwagen, blickte mit seinen blauen Augen arglos in den lichten Winterhimmel und gluckste vor Vergnügen.
Ich schob den Wagen in Richtung der vielleicht zwanzig Gräber. Schlichte Holzkreuze waren in den Boden geschlagen, glatt gehobelt und mit farblosem Lack gestrichen. Die meisten trugen Namen. Ich las Friedrich Meyer, Otto Menke, Friedrich Mohle.
«Was mögen das für Menschen gewesen sein...?» Heike arbeitete, sofern sie als junge Mutter noch Zeit dafür hatte, an einem Artikel über die elf Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, die es in der Sowjetzone gegeben hatte. «Wirkliche Naziverbrecher, dann hätte ich das gar nicht schlecht gefunden... aber nur Mitläufer, wenn nicht gar Sozialdemokraten, bürgerliche Oppositionelle, aufmüpfige Kommunisten, zufällig aufgegriffene Männer, Hitlerjungen, Kinder noch, die...»
Ich hörte nicht mehr hin, denn mein Blick war auf eines der größeren Kreuze gefallen.
Waldemar v. Woerzke
geb.
23.1.1928
gest.
Nov. 46
Ein riesiger Rosenstrauß lag im wintermatten Gras. Wunderschön in allen Farbnuancen zwischen hellem Gelb und tiefstem Rot. Nicht nur der dicke grüne Draht des Blumenhändlers hielt die Stiele zusammen, sondern auch ein breites rotes Band, vielleicht abgerissen von einem Kasten Konfekt. Ungelenkte Druckbuchstaben, dünnes Kugelschreiberblau. Ich mußte mich bücken, um den Text lesen zu können.
Von Deiner großen Liebe
Ich weine noch heute...
Ich bin ein rührseliger Mensch, ich habe nah am Wasser gebaut, wie die älteren Berliner sagen.
Heike kam und fragte, was denn sei, warum ich Tränen in den Augen hätte. «Kennst du die...?»
«Waldemar v. Woerzke und seine große Liebe, nein... Ich weiß nur von meinem Fontane, daß das mal ’n großer Name war in Brandenburg und Preußen. Joachim Ernst v. Woerzke
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