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Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
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da ma vor: da drüben is ’n Puff – und die hat hier am Fensta jestanden und sich die Autonumman von den Freiern uffjeschriem...»
    «Ja, und hat dann die Halter der Kfz ermittelt und bei deren Frauen zu Hause angerufen.» Der PNR-Führer sah zutiefst begeistert aus.
    «Eine hehre Kämpferin gegen die Prostitution und die Verderbtheit der Menschen... Deutsche, reinigt Eure Welt!» Ich klatschte in die Hände. «Und ein herrliches Motiv für ein Dutzend Männer, sie umzubringen und dadurch ihre Ehe und ihr Vermögen zu retten.»
    Der Westberliner Kollege war hinzugekommen. «Mit den Überprüfungen werden wir wochenlang zu tun haben.»
    «Hat denn Luise Tschupsch irgend welche Verwandte gehabt?»
    Yaiza Teetzmann hatte herausgefunden, daß es nur noch einen etwas jüngeren Bruder gab. «Ludger. Soll mal bei der NASA jewesen sein... Lebt jetze in Messa-schutta.»
    Sie meinte den US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts. Ich korrigierte sie nicht. «Der wird ja kaum hergekommen sein, um seine Schwester zu killen.»
    «Kann man’s wissen. Arbeitslos issa jedenfalls.»
    «Wir werden auch das weiterverfolgen.» Der Westberliner Kollege schien sehr bemüht.
    «Habt ihr denn schon herausgekriegt, was Luise Tschupsch bei uns in Oranienburg gewollt hat?»
    «Ja, stand in ihrem Notizbuch drin. Ingeborg Bücknitz, Treidelweg. »
    «Wunderbar.» Ich freute mich, daß wir endlich einen Ansatzpunkt hatten. «Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.»
    Der PNR-Vorsitzende zog mich zum Fenster. «Da – wieder ’n Bordellbesucher.»
    Ein Mann stieg aus seinem BMW – und ich fühlte mich in allen meinen Vorurteilen bestätigt.
    Es war dieser Wolfram Schwermer von der Havelland-Invest.

5. Szene
S-Bahn zwischen Waidmannslust und Oranienburg
    Wir saßen in der S-Bahn, Yaiza Teetzmann und ich, und fuhren zurück nach Oranienburg. Zwar hatten wir einen Dienstwagen zur Verfügung, einen alten Wartburg aus volkseigenen Beständen, doch quer durch die Stadt ging es ohne Auto allemal bequemer und schneller.
    «Schön, diese neuen Wagen...» Ich genoß die Fahrt. «Nichts geht über die S-Bahn.»
    «Det is ja schon richtich Besessenheit bei dir.»
    «Ja, passion and obsession. Und wenn ich mal Selbstmord begehe, dann sicherlich, indem ich mich vor ’n S-Bahnzug werfe.»
    «Besser als wenn de ’n zweeta S-Bahnmörder wirst.»
    «Warum: 'ne Legende werden ist doch auch nicht schlecht.» Dieser Mann, Paul Ogorzow, hingerichtet 1941 in Plötzensee, versetzte die älteren Berlinerinnen noch immer in Angst und Schrecken, wenn sie spät abends S-Bahn fuhren. 32 Sittlichkeitsverbrechen, acht Morde, davon fünf in fahrenden S-Bahnzügen, und sechs Mordversuche. «Und das alles im Dritten Reich, wo es keine Kriminalität gegeben hat, keine Opfer. Abgesehen von den 55 Millionen Toten... Wie ja auch in der DDR alles viel sicherer gewesen ist... Keine Kriminellen... Bis auf die Stasi-Heere, die Devisenbeschaffer, die Mauerschützen...»
    «Hör uff! Sonst kannste alleene weitafahrn.»
    Wir schwiegen. Derzeit waren in Berlin alle verbittert. Jeder haßte jeden und sich selber am meisten. Nein, aber... Die Minuten vergingen. Yaiza schien sich wieder beruhigt zu haben.
    «Die S-Bahn, ja...» Ich lehnte mich wohlig zurück. «Die Baureihe 480 ist doch ’n bißchen feudaler als die Baureihe 485.»
    Yaiza, doch noch aufgeladen, explodierte regelrecht und fauchte mich an. «Typisch Wessi-Arroganz wieda. Is ja allet bessa, wat von euch drüben kommt. Bloß wird die teuren Stromfressa keena mehr baun.»
    Da hatte ich sie gehörig unterschätzt. Wußte sie also, daß die Baureihe 480, gelb und rot lackiert, vor der Wende von einem hochkarätigen Designerteam entwickelt worden war. Gebaut dann für die BVG-S-Bahn im Westen. Im Osten hatte das LAW Hennigsdorf für die Reichsbahn eine eigene Baureihe auf die Schienen gebracht, rot und anthrazit gespritzt. Weniger elegant, weniger aufwendig, aber viel kostengünstiger.
    Wir hielten in Hermsdorf. Hier hatte ich gute fünfzehn Jahre verbracht. In meinem ersten Leben, dem vor Heike und Sylvester. Mit Eigenheim und Bilderbuchfamilie. Lilo war bis auf die Insel Margarita geflüchtet, Venezuela, als Reisebegleiterin. Ich nach Bramme in die Psychiatrie.
    Ich starrte auf die Werbung im Wagen. Eine Schulterklappe mit drei Sternen und dem Berliner Bären in einer Art Sonne oder Stern, wie ihn die uniformierten Kollegen vorne an der Mütze trugen.
     
    Greifen Sie nach den Sternen
    Die andere Karriere: Nicht im Sessel.

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