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Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
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zu nehmen hatten, um die ungemein aggressiven und verletzenden Fragen unseres Großinquisitors über sich ergehen zu lassen. Dessen Team hatte wochenlang zuvor recherchiert und im Privat- und Intimleben des Kandidaten herumgestöbert, so daß der nun mit allen möglichen Peinlichkeiten, Verfehlungen, Tabuverletzungen und Gesetzesverstößen konfrontiert werden konnte. Über seinem Kopf hing, in der Form eines Damoklesschwertes, ein Zeiger, der – von 1 bis 60 – das Maß seiner inneren Erregung angab. Er lief auf einen großen Kontaktstift zu, der da angebracht war, wo man sich bei einer Uhr die 12 zu denken hatt£. Berührte der Zeiger diesen Kontakt – oder verlor der Kandidat vorher die Nerven, sprang auf und stürzte aus dem Studio –, dann hatte er verloren; das Spiel ebenso wie sein Gesicht. Hielt er aber stand, und dies über qualvolle dreißig Minuten hinweg, dann war er halber Millionär geworden, konnte den Scheck über 500000 DM nach Hause tragen. Die Bilanz nach zehn Sendungen war eindeutig genug, denn auf acht Verlierer, von denen einer nach Australien ausgewandert war und sich ein anderer selbst getötet hatte, kamen nur zwei Gewinner, von denen einer mein alter Spezi Wolfram Schwermer war. Doch die Kandidaten bewarben sich noch immer körbeweise, obwohl es sich langsam herumgesprochen hatte, daß ENTER-EINS mit Vorliebe solche Typen auswählte, die einigen Dreck am Stecken hatten, aber krampfhaft um die Aufrechterhaltung ihrer Biedermanns-Fassade bemüht waren. Auch drohte nach dem Selbstmordfall die Staatsanwaltschaft mit dem Verbot des (Elektrischen Stuhls». Grund für viele Millionen, sich die heutige Sendung, die die letzte sein konnte, unbedingt noch anzusehen.
    «ENTER-EINS – die Nummer 1 des Entertainments!» So tönte es immer wieder. Das Jingle war gräßlich.
    Heike und ich waren – als (tragende Säulen» der heutigen Sendung – im Studio am Alexanderplatz freudig empfangen worden. Der Großinquisitor, noch im Straßenanzug, war unendlich lieb zu mir.
    «Es hat mir einige Mühe gekostet, Ihren Tatverdächtigen als Kandidaten zu gewinnen... Aber für Sie tu ich halt alles.»
    Mußte er auch. Denn noch immer stand er selber unter Mordverdacht, und Sven Viebaks Geständnis, abgelegt vor laufender Kamera, hätte auch ihm gewaltig geholfen. Einmal abgesehen davon, daß ich ihn wegen seiner Besuche bei Roxana und der zu befürchtenden Rache seiner Frau so ziemlich in der Hand hatte.
    Ich sah ihn an. «Übertreiben wir mal nicht, was Sven Viebak betrifft. Den Ausschlag hat ja wohl mein Anruf in Oranienburg gegeben... Daß ich ganz bestimmte Schlüsse ziehen würde, wenn er nicht zu Ihnen in die Sendung käme.»
    «Danke, ja.» Der allseits gefürchtete Henker wurde regelrecht ein kleiner Schleimi. Auch Heike gegenüber, die er regelrecht abzuküssen begann. «Herzlichen Dank auch für Ihr psychologisches Gutachten.»
    Sie hatte sich bei der Vorbereitung der Sendung ein paar Mark hinzuverdient. Dadurch daß Sylvester auf die Welt gekommen war, zog sich ihr Psychologie-Studium ziemlich in die Länge, und in ihrer Funktion als Berlin-Berichterstatterin des Brammer Tageblatts und einiger norddeutscher Privatradios verdiente sie wahrlich nicht viel.
    Es war ein Scheißgefühl, mit ENTER-EINS im selben Boot zu sitzen, aber wir waren uns beide ganz, ganz sicher, daß Sven Viebak Luise Tschupsch erschossen hatte – und sich jederzeit ein zweites und ein drittes Opfer suchen konnte. Es waren also Menschenleben zu retten, und dieser Zweck heiligte das Mittel.
    Heikes Diagnose war eindeutig genug: Neurose als Folge verfehlter Nestablösung. Er kennt seine bis ins Erwachsenenalter verinnerlicht fortbestehende infantile Abhängigkeit von seinem Nest, das heißt, von seiner Mutter – und haßt sie deswegen. Ihretwegen wird er nicht zum Mann, ihretwegen verspotten ihn die Frauen und meiden ihn. Sie quält ihn mit ihren leib- und lustfeindlichen Wertvorstellungen, obwohl er ganz verrückt nach Frauen ist. Aber er darf nicht, und er ist viel zu verklemmt, um ans Ziel zu kommen. Das schafft er erst, wenn seine Mutter nicht mehr da ist. Er möchte sie am liebsten umbringen. Aber das geht nicht, denn nach dem Tode seines Vaters hat sie sich für ihn aufgeopfert und ihn mit ihrer Liebe überschüttet, nicht wieder geheiratet, auf alles verzichtet. Nun soll auch er ihr zuliebe auf alles verzichten. Das kann er nicht länger. Aber er kann sie doch auch nicht einfach erschießen. Nein, sie nicht, aber

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