Unfassbar für uns alle
führt mich an der Nase herum, sie ist nur der Lockvogel von diesem Schweriner, damit ich ihm alles verkaufe. Spottbillig alles. Sie liegt mir dauernd in den Ohren damit. Ich darf mit ihr vögeln, aber jede Nummer kostet in Wahrheit hunderttausend Mark.»
Ich sah ihn vor mir, wie er mich in Oranienburg durch das Sonderlager Nr. 7 geführt hatte. Bei einem solchen Leidensweg hatte er ein anderes Schicksal verdient gehabt.
«Das tut mir leid, alles...»
«Ich hätte nicht mithören sollen. Aber ich war in der Telefonzentrale unten, mir alles mal ansehen... und da haben sie noch solche Vorrichtung... aus den alten Stasi-Zeiten. Und da ist die Versuchung zu groß gewesen...»
Ich machte eine hilflose Geste. «Wenn es so kommen sollte, dann...»
Er ballte die rechte Hand zur Faust. «Auf diesen Gott scheiß ich, der so ungerecht ist! Die Woerzkes kommen alle aus der Kirche raus, aus unserer Gruft. Und Schweriner wird keine Geschäfte machen mit mir, nichts werd ich unterschreiben. Seine Kredite wird er nicht zurückzahlen können, Pleite wird er sein, aufhängen wird er sich. Nichts bekommt diese verdammte Havelland-Invest, ich schenke alles der Gemeinde. Alles für Friedrichsheide. Die Fabrik, das Land ringsum, alles. Nur ein Denkmal sollen sie mir setzen. Hier vor dem Schloßhotel. Nach meinem Tode. Das Schloßhotel behalt ich, und hier oben will ich wohnen. Da wo ich als Kind mein Zimmer hatte. Da will ich auch sterben. Alleine aber. Damit nicht wieder eine kommt und mich verrät.»
Er trank den Rest des Whiskys aus.
43. Szene
Wohnung Heike / Mannhardt
Ich lag im Bett und sah den ganzen Tag über Skirennen in ARD und ZDF und Basketball und Boxen im ‹Eurosport›-Kanal oder las Fontane-Romane. Klingelte das Telefon, dann nahm Heike ab und sagte, daß ich an einer schweren Viruserkrankung leiden würde und fast im Koma läge. «Er hat wahnsinnig hohes Fieber, so zwischen 37,8 und 38,1, und das eingeflogene Ärzteteam aus Washington tippt auf einen leichten Schnupfen, aber sein Hausarzt hat ihn bis nächsten Freitag krankgeschrieben. Sammelt mal schon für den Kranz.»
Aber was war mir nach den beiden großen Flops – Sven Viebak nicht zu fassen und Woerzke echt – denn anderes übriggeblieben, als eine Auszeit zu nehmen.
Hat ja doch alles keinen Zweck.
Ich bin doch nicht so ’n Idiot wie dieser Sisyphos.
Das Telefon klingelte. Der Apparat stand neben meinem Bett, und ich riß den Hörer schnellstmöglich hoch, um zu verhindern, daß Sylvester wach wurde und schrie. Es war Yaiza Teetzmann aus Oranienburg.
«Bist du’t noch selba oda isset der automatische Anrufbeantworta...?»
«Bitte sprechen Sie nach dem Pfeifton. Sie haben für Ihre Mitteilungen eine Minute Zeit.»
Yaiza Teetzmann überbrachte mir die frohe Kunde, daß unsere wackeren Kollegen die Fahrerflucht im Falle Gerhard Uhlig aufgeklärt hätten. «... ’ne junge Frau aus Zehdenick... Hatte sich nur mal umjedreht, weil ihrem Kind uff n Rücksitz die Puppe runtajefallen war.»
Eine Nachricht, die für mich nicht bedeutungsvoller war als die Mitteilung, daß Volker Vogeley nach Verlassen der Toilette vergessen hatte zu spülen. Woerzke war echt und Uhlig mit seiner Wolmir-Theorie nichts als ein vom Haß fehlgeleiteter Spinner.
Ich bedankte mich, wünschte den Oranienburgern gute Erholung von mir und wandte mich wieder «Ellernklipp» zu, dem fast unbekannten Krimi aus der Feder Meister Fontanes. Ellernklipp war kein Mensch, sondern eine Felswand, von der Baltzer Bocholt aus Eifersucht seinen Sohn Martin in die Tiefe stürzt. B. B. ist Heidereiter, ein gnadenloser starrer und autoritärer Aufsichtsbeamter für Wald und Flur, und verfallt Hilde, einem Waisenkind, das er bei sich aufgenommen hat. Als er entdeckt, daß Hilde und Martin sich lieben, kommt es zur Tat.
‹...ich will dir sagen, was du bist: ein Räuber, ein Dieb! Und ich will dir sagen, wo du bist: auf verbotener Fährte! Heraus mit der Sprache! Wo hast du sie? Sprich! Aber lüge nicht!›
‹Ich lüge nicht!›
‹Doch, doch! Lump, der du bist...› Und sie rangen miteinander, bis der Alte, der sonst der Stärkere war, auf den Kiennadeln ausglitt und hart am Abgrunde niederstürzte.
Martin erschrak und rief in bittendem Tone: ‹Vater!›
Aber der Alte schäumte: ‹Der Teufel ist dein Vater!) Und außer sich über die seinen Stolz demütigende Lage, darin er sich erblicken mußte, stieß er mit aller Gewalt gegen die Knie des Sohnes, daß dieser fiel, im Fallen sich
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