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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sagte es bereits früher – der Eckturm eines längst zerfallenen oder abgerissenen Schlosses (selbst die Mädchen kannten die Vorgeschichte nicht genau), hatte dieser wuchtige vierkantige Turm durch Jahre hindurch leer gestanden und als Speicher gedient; während ihrer Kindheit war Edith zum Schrecken ihrer Eltern oftmals auf den ziemlich defekten Leitern emporgeklettert bis in den Dachraum, wo zwischen altem Gerümpel Fledermäuse schlaftrunken schwirrten und bei jedem Schritt über die alten vermorschten Balken Staub und Moder in dicker Wolke aufquoll. Aber das phantastisch veranlagte Kind hatte dieses unnütze Gemach, dasvon den verschmutzten Fenstern unbeschränkten Blick in die Ferne gab, gerade wegen seiner geheimnisvoll nutzlosen Art sich als eigenste Spielwelt und Versteck gewählt; und als dann das Unglück kam und sie nicht mehr hoffen durfte, jemals wieder mit ihren damals noch völlig unbeweglichen Beinen jene hochgelegenen romantischen Rumpelkammern zu erklimmen, fühlte sie sich wie beraubt; oft beobachtete der Vater, wie sie mit bitterem Blick hinaufsah zu diesem geliebten und plötzlich verlorenen Paradies ihrer Kinderjahre.
    Um sie zu überraschen, nützte nun Kekesfalva die drei Monate, die Edith in einem deutschen Sanatorium verbrachte, um einen Wiener Architekten zu beauftragen, den alten Turm umzubauen und oben eine bequeme Aussichtsterrasse anzulegen; als Edith im Herbst nach kaum merkbarer Besserung ihres Zustandes zurückgebracht wurde, war der aufgestockte Turm bereits mit einem Lift versehen, breit wie der eines Sanatoriums, und der Kranken damit Gelegenheit gegeben, zu jeder Stunde im Rollstuhl zu dem geliebten Ausblick hinaufzufahren; die Welt ihrer Kindheit war ihr damit unvermutet zurückgewonnen.
    Auf Stilreinheit war freilich der etwas eilige Architekt weniger bedacht gewesen als auf technische Bequemlichkeit; der nackte Kubus, welchen er dem schroffen, vierkantigen Turm aufgestülpt hatte, hätte mit seinen geometrisch geraden Formen viel eher in ein Hafendock oder zu einem Elektrizitätswerk als zu den behaglichen schnörkeligen Barockformen des wohl auf die Maria-Theresianische Zeit zurückreichenden Schlößchens gepaßt. Aber der wesentliche Wunsch des Vaters erwies sich als geglückt; Edith zeigte sich völlig begeistert von dieser Terrasse, die sie in unverhoffter Weise von der Enge und Einförmigkeit ihrer Krankenstube erlöste. Von diesem ihrem eigensten Aussichtsturm aus konnte sie mit Ferngläsern dieweite tellerflache Landschaft überschauen, alles was im Umkreis geschah, Saat und Mahd, Geschäft und Geselligkeit. Nach endloser Abgeschiedenheit wieder mit der Welt verbunden, blickte sie stundenlang von dieser Warte auf das muntere Spielzeug der Eisenbahn, die mit ihrem kleinen Rauchkringel die Landschaft durchquerte, kein Wagen auf der Chaussee entging ihrer müßigen Neugier, und wie ich später erfuhr, hatte sie auch viele unserer Ausritte, Übungen und Paraden mit ihrem Teleskop begleitet. Aus einer merkwürdigen Eifersucht heraus hielt sie aber diesen ihren abseitigen Ausflugsplatz vor allen Hausgästen als ihre Privatwelt verborgen; erst an der impulsiven Begeisterung des treuen Josef merkte ich, daß die Einladung, diese sonst unzugängliche Warte zu betreten, als eine besondere Auszeichnung gewertet werden sollte.
    Der Diener wollte mich mit dem eingebauten Lift hinaufführen; man sah ihm den Stolz an, daß dieses kostspielige Vehikel ihm zu alleiniger Führung anvertraut war. Aber ich lehnte ab, sobald er mir berichtete, daß außerdem noch eine kleine, von seitlichen Loggiendurchbrüchen in jedem Stockwerk erhellte Wendeltreppe zur Dachterrasse emporführe; ich malte mir gleich aus, wie anziehend es sein müßte, von Treppenabsatz zu Treppenabsatz die Landschaft sich immer weiter ins Ferne auffalten zu sehen; tatsächlich bot jede dieser schmalen unverglasten Luken ein neues bezauberndes Bild. Über dem sommerlichen Lande lag wie ein goldenes Gespinst ein windstiller, durchsichtig heißer Tag. In fast reglosen Ringen schnörkelte sich der Rauch über den Schornsteinen der verstreuten Häuser und Höfe, man sah – jede Kontur wie mit einem scharfen Messer aus dem stahlblauen Himmel geschnitten – die strohgedeckten Hütten mit ihrem unvermeidlichen Storchennest auf dem Giebel, und die Ententeiche vor den Scheunen blitzten wie geschliffenesMetall. Dazwischen in den wachsfarbenen Feldern liliputanisch winzige Figuren, weidende Kühe in gesprenkelten Farben,

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