Ungeschoren
auf die Kykladen. Dann würde in der griechischen Inselwelt ein gewaltiger Streit ausbrechen. Die Einheimischen würden fälschlicherweise glauben, dass der Zorn von Zeus und Hera auf dem Olymp sich entlüde. Alle rationalen Erklärungen vom Typ ›Es sind ein großer Schwede und eine kleine Russin, die sich darüber streiten, wo ihr Haus liegen soll‹ würden mit einer seit der Antike überkommenen typisch griechischen Geste abgefertigt werden.
Nein, daran dachte er überhaupt nicht. Er dachte: Reiche Länder ziehen aus armen Ländern Pflegepersonal ab. Es ist ein neuer Trend. Der simple Grund dafür ist, dass die reichen Länder sich bezüglich ihres zukünftigen Pflegebedarfs gründlich verrechnet haben. Oder ganz einfach überhaupt nicht gerechnet haben – weil es sich um ein Thema jenseits der Mandatsperiode der gewählten Volksvertreter handelte. Es war eine wohlbekannte und unzureichend umstrittene Tatsache in der Gegenwart. Das dramatischste Beispiel stellten die USA und Südafrika dar. Amerikanische Rekrutierungsunternehmen fielen in Südafrika mit Angeboten ein, denen die aidsmüden Ärzte und Krankenschwestern nicht widerstehen konnten. Der Mangel an Pflegepersonal in Südafrika war gegenwärtig so akut, dass zahlreiche lebenserhaltende Abteilungen – und ganze Krankenhäuser – geschlossen werden mussten. Mitten im anhaltenden Aidsboom.
Aber es war zu hoffen, dass Südafrika bald über eine eigene Produktion erstklassiger Blocker verfügen würde.
Oder vielleicht dachte er auch an ein kleines Haus an einem Abhang am Meer auf Naxos. Er war nicht ganz sicher.
Njet, rief er sich zur Ordnung. Ochi. No. Er dachte an eine Frau mit Namen Elzbieta Kopanska.
Er hatte mit dem Sachbearbeiter der Vermittlungsfirma gesprochen, mit Lehrern und Kommilitonen an Södertörns Hochschule, mit Kollegen und Vorgesetzten im Krankenhaus von Huddinge, mit allen im Land, die Kontakt zu Schwester Elzbieta gehabt hatten. Nach und nach entstand das Bild einer sozial eingestellten, aber dennoch recht zurückgezogenen jungen Frau, die in den drei Monaten ihres Aufenthalts in Schweden nur vorsichtig Außenkontakte knüpfte. Einige denkbare Gelegenheitsliebhaber im Zusammenhang mit zwei bezeugten Kneipenbesuchen zeichneten sich ab, aber noch war keiner eingekreist. So selbstverständlich einen Axtmord mit Liebe und Sex zu verknüpfen, war natürlich deprimierend, aber unausweichlich. Rein psychosozial gesehen, deutete vieles darauf hin, dass der Axtmörder eher ein verschmähter Liebhaber war als ein Verrückter. Äxte wurden fast immer in extremen Situationen benutzt. Auf gewisse Weise – und er wollte diesen Gedanken nicht richtig zu Ende denken – lag in einem Axtmord die gleiche Art von leidenschaftlicher Hingabe wie in einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung. Zumindest aus männlicher Sicht.
Axtmorde sind sauer gewordene Leidenschaft.
Altes Dschungelsprichwort.
Nachdem Nyberg einige der offener zutage liegenden männlichen Kontakte abgehakt hatte, richtete er sein Hauptaugenmerk auf einen Mann, der zunächst nicht viel mehr als ein Schatten gewesen war. Er hatte erst im Verlauf der langen und schwierigen Zeugenvernehmungen Gestalt angenommen. Ein Mann, der sich immer nur am äußersten Bildrand befand. Er war auf seinem Fahrrad da, wenn Elzbieta zu ihrem Sprachkurs bei Södertörns Hochschule ankam, er saß da, wenn der Frühlingstag graute, und wartete, wenn sie von ihrer Nachtschicht im Krankenhaus nach Hause ging. Die Leute hatten ihn im Vorübergehen wahrgenommen. Erst als sie an ihn erinnert und gezwungen wurden, sich anzustrengen, wurde sein Bild deutlich. Eine von Elzbietas Mitschülerinnen im Sprachkurs, eine Iranerin, die Aktienmaklerin werden wollte, hatte sie einmal direkt darauf angesprochen. Alles, was sie zur Antwort bekam, war ein ganz schwaches Lächeln.
Nicht weniger als elf Personen konnten sich, wenn sie sich den Kopf zermarterten, an diese Randfigur erinnern. Aber nur äußerst vage. Nyberg setzte Puzzleteilchen zusammen wie ein Detektiv. Fragment um Fragment, Detail um Detail. Eine Haarfarbe hier, ein Gesichtszug da, ein Kleidungsstück dort. Zwei der elf Zeugenaussagen fielen aus dem Rahmen. Eine neurotische italienische Modedesignerin erinnerte sich an einen sehr dicken rothaarigen Mann mit drohendem Blick und einer Axt auf dem Gepäckträger, während ein männlicher Krankenpflegerkollege, dem ein halbes Kilo Metallschrott in verschiedenen Gesichtspartien hing, einen gealterten mageren
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